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Journalisten als Alleswisser

Von Werner Stanzl

Gastkommentare
Werner Stanzl ist Schriftsteller, Journalist und Dokumentarfilmer.
© Barbara Stanzl

Sie interviewen sich gegenseitig, betätigen sich als Husch-Husch-Profiler der Gegenwart und sichern sich in allem das letzte Wort.


Es gehört zur Gegenwart, dass Journalisten unwidersprochen Gerichtsurteile bewerten, Neurobiologen widersprechen, mit Virologen über Corona fachsimpeln und dabei in allem das letzte Wort behalten. Sie interviewen sich im TV gegenseitig und bestätigen einander eilfertig Fachwissen, das man mit Blick auf ihren Bildungsweg nicht vermuten würde. Selbst die Frage, ob sie die einzelnen Daten vor der Weitergabe richtig gewichten und ordnen können, ist nicht immer eindeutig zu beantworten.

Nun ist es per definitionem nicht Aufgabe der Journalisten, durch Fachwissen zu brillieren, sondern Nachrichten weiterzugeben. So wie ein guter Briefträger nicht das Briefgeheimnis verletzt, kontaminiert ein guter Journalist nicht Nachrichten mit seiner Meinung. Doch im Wettkampf um die Sekunden gegen Hörfunk, Fernsehen und Internet haben seriöse Printmedien als Nachrichtenmedien längst kapituliert. Der Sager, nichts sei so alt wie eine Zeitung von gestern, hat sie als ewige Zweite auf die kommerziellen Erfolge des Boulevards, heute Tabloid Press, schielen lassen. Deren Angebot aus Sex and Crime haben sie durch Meinung ihrer Redakteure ersetzt. Noch haben die Leser nicht gemerkt, dass sie nicht Nachrichten, sondern Meinung kaufen. Etwa, wenn die "Süddeutsche Zeitung" einen Artikel über Kritik an US-Präsident Donald Trump im Nachrichtenteil mit "Berechtigte Kritik an Trump" titelt. Egal wie berechtigt diese Kritik sein mag, dieser Titel im Nachrichtenteil enthält Samen von Lynchjustiz.

Wie gefährlich es ist, wenn Journalisten und Blattmacher, gewollt oder ungewollt Meinung als Nachricht verkaufen, ergibt sich aus der Einschätzung des deutschen Höchstrichters Ralf Eschelbach: Er schätzt, jedes vierte Strafurteil sei ein Fehlurteil. Unter anderem, weil zur Lösung eines Falls häufig Profiler eingesetzt würden, die eine Tat-Hypothese entwickeln. Damit, so der Höchstrichter, bestehe die Gefahr, dass Indizien so zusammengefügt würden, dass sie ins Bild passen. Es ist nachlesbar, dass sich Journalisten diese Rolle häufig anmaßen, ohne sich auch nur annähernd ihrem Thema mit der gleichen Intensität nähern zu können. So werden sie zu Husch-Husch-Profilern der Wahrheit. Doch echtes Profiling ist zeitintensiv, sammelt Indizien, braucht Wissen. Und die Reihenfolge hat es in sich: erst Wissen, dann Meinung.

Aktuell erregt sich ganz Deutschland über die Meinung einer gewissen Hengameh Yaghoobifarah in der Berliner "TAZ". Diese verallgemeinert Deutschlands 250.000 Polizisten allesamt als Rassisten und will sie auf dem Müll sehen. Als Müll, wie sie betont. Ganz ist die Aufregung nicht zu verstehen. Immerhin ist das Traktat als Meinung ausgewiesen. Und Meinungen qualifizieren oder disqualifizieren sich von selbst. Keine als solche gekennzeichnete Zeile kann so gefährlich sein wie eine Meinung, die als Nachricht camoufliert ist.

Hauptberuflichen Journalisten sei deshalb ins Stammbuch geschrieben: Einem mit absoluter Mehrheit regierenden Populisten, Egomanen oder Narzissten kann nichts gelegener kommen als die Unfähigkeit der Gesellschaft (und ihrer Medienmacher?), zwischen Meinung und Nachricht zu unterscheiden. Seine Fake News könnten nur allzu leicht als News geschluckt werden.