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Neuer Auftrag für Energiewenden

Von Irene Giner-Reichl

Gastkommentare

Ohne strukturelle Änderungen werden die Corona-bedingten CO2-Rückgänge temporär bleiben.


Auf den ersten Blick tut die Corona-Pandemie der Umwelt gut: Die Internationale Energieagentur sagt für heuer einen Rückgang der CO2-Emissionen um 8 Prozent voraus. Überall auf der Welt haben Menschen in Quarantäne bemerkt, wie blau der Himmel bei weniger Luftverschmutzung sein kann, dass die Natur auch mitten in der Großstadt lebt und wie wohltuend weniger Lärm ist. Diese Erfahrung sollte es den Bürgern leichter machen, die Vorteile eines Umbaus von verschmutzenden Energiesystemen hin zu größerer Nachhaltigkeit zu erkennen und von ihren Regierungen einzufordern.

Überall auf der Welt werden Strategien und Unterstützungspakete verabschiedet, um die gebremsten und teils lahmgelegten Volkswirtschaften wieder anzukurbeln. Dies ist ein Schlüsselzeitpunkt, um die Energiewenden, die vor Corona in vielen Ländern und Regionen eingeleitet wurden, mit neuer Kraft anzukurbeln. 2019 war das Jahr mit dem höchsten Ausstoß von Treibhausgasen, und die heurigen Rückgänge werden - wie wir es auch bei anderen Wirtschaftskrisen erlebt haben - ohne strukturelle Änderungen nur temporär sein.

Der "Globale Statusbericht" des Politiknetzwerkes REN21 warnt nachdrücklich, dass keine Zeit zu verlieren ist. REN21-Exekutivdirektorin Rana Adib fordert "eine Total-Quarantäne für fossile Energien". Zwar nimmt die Stromversorgung aus erneuerbaren Quellen von Jahr zu Jahr zu. Da aber der globale Energiehunger weiter wächst (um rund 1,4 Prozent jährlich zwischen 2013 und 2018) und Elektrizität mit 17 Prozent nur ein kleiner Teil des Gesamtenergieverbrauchs ist, genügen die Erfolge bei der nachhaltigen Stromproduktion nicht. Nach wie vor wird der Löwenanteil des globalen Endenergieverbrauchs von fossilen Energieträgern bereitgestellt; rund 51 Prozent entfallen auf Wärme/Kühlung (nur rund 10 Prozent davon kommen aus erneuerbaren Energien) und 31 Prozent auf Verkehr (nur zu 3,3 Prozent erneuerbar). "Die Unterstützung für die fossile Wirtschaft muss aufhören", fordert Adib, "besonders hinsichtlich Wärmeenergie und Verkehr." Die Regierungen müssen die Marktbedingungen tiefgreifend verändern; sie haben in der Corona-Krise gezeigt, dass sie das Gesetz des Handelns wieder an sich gezogen haben; diese Führungsqualitäten sollten sie nun auch durch einen resoluten Ausstieg aus der fossilen Wirtschaft beweisen.

2019 gab es in 150 Ländern globale Klima-Proteste, die verantwortliches Handeln forderten. Dies sollte den Regierungen den Rücken für weitblickende Maßnahmen stärken. Die Pakete zur Post-Corona-Wirtschaftsankurbelung bieten eine unvorhersehbare Gelegenheit, Energie-Systeme zu stärken, die Jobs und lokales Einkommen schaffen und die soziale Gerechtigkeit fördern. Es sollte attraktiv für Regierungen sein, sich mittelfristig unabhängiger von volatilen Erdölmärkten zu machen, auch wenn der Ölpreis gerade extrem niedrig ist. Erneuerbare Energien aus heimischem Vorkommen und Maßnahmen zur Energieeffizienz können allerorten die nationale Energiesicherheit stärken.

Frauenanteil erhöhen

Corona hat die Zahlen der Arbeitslosen überall auf der Welt erschreckend anschwellen lassen. Der Sektore der erneuerbaren Energien bot 2018 weltweit elf Millionen Menschen Arbeit - vor Corona erwartete die International Renewable Energy Agency bis zum Jahr 2050 einen Zuwachs auf 42 Millionen. Stimuluspakete sollten gezielt auf die Förderung von Jobs in diesem Wachstumssektor abstellen, der sich noch dazu durch eine große Bandbreite von erforderlichen Qualifikationen (Verkauf, Lehre, technische Spezialisierungen, Finanzwissen etc.) auszeichnet.

Dabei sollte die Geschlechtergerechtigkeit berücksichtigt werden. Die wenigsten Energiewendestrategien von Ländern, Städten und Firmen scheinen Bestimmungen zur Förderung der gleichberechtigten Beteiligung von Frauen zu enthalten. Diese sind derzeit im nachhaltigen Energiesektor signifikant unterrepräsentiert. Es gibt keine harmonisierten Daten; die optimistischsten Zahlen gehen von einem Drittel Frauenanteil aus; die Prozentsätze fallen signifikant - auf 10 Prozent -, wenn es um Leitungsjobs in Vorständen und Aufsichtsräten oder um sogenannte MINT (Mathematik, Ingenieurswissenschaften, Naturwissenschaft, Technologie)-Qualifikationen geht. Da Frauen überproportional in Teilzeitjobs und (in Schwellen- und Entwicklungsländern) im informellen Sektor tätig sind und Jobs dieser Art immer als erste gestrichen werden, ist zu befürchten, dass die Corona-Epidemie den Frauenanteil weiter schrumpfen ließ.

Energiewenden sind aber viel mehr als das Ersetzen eines fossilen Brennstoffs durch eine erneuerbare Energiequelle. Tatsächlich machen sie tiefgreifende gesellschaftliche Umgestaltungen nötig, daher ist es im höchsten Maße erforderlich, auf alles verfügbare Talent zu greifen - von Frauen und Männern. Spitzenunternehmen und Führungspersönlichkeiten der nachhaltigen Energiebranche haben dies schon erkannt und versuchen den Frauenanteil zu erhöhen: mit Quoten, akademischen Förderprogrammen zu gender-blinder Rekrutierung und Beförderung oder speziellen Finanzprogrammen. Eine Studie des Globalen Frauennetzwerkes für die Energiewende enthält eine Fülle von Beispielen, die zur Nachahmung geeignet sind.