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Zu viel Zuversicht an den Börsen

Von Ingrid Szeiler

Gastkommentare

Die Bereiche Technologie, Internet und Kommunikation bestimmen die Aktienmärkte.


In der letzten Juli-Woche wurden für die meisten Länder die ersten Prognosen für das Wirtschaftswachstum des zweiten Quartals veröffentlicht. Aufgrund des Lockdowns kam es global zu einem massiven Einbruch der Wirtschaftsleistung, in vielen Ländern war es der stärkste seit Beginn der Aufzeichnungen. Vor diesem Hintergrund rufen die Entwicklungen an den Finanzmärkten bei vielen Beobachtern Unverständnis hervor. Immerhin liegen globale Aktien bereits wieder auf dem Niveau vom Jahresbeginn.

Viele Erklärungen für diese Diskrepanz wurden an dieser Stelle in den vergangenen Monaten angeführt, allen voran die Maßnahmen der Notenbanken und der Regierungen sowie die Hoffnung auf eine rasche Erholung der Wirtschaft, die aktuell durch so manchen Vorlaufindikator geschürt wird. Ein weiterer Aspekt ist die zunehmende Verengung des Marktes auf wenige Titel aus den Bereichen Technologie, Internet und Kommunikation. Ohne die Performancebeiträge der großen vier (Amazon, Apple, Microsoft und Google) wäre der S&P 500 seit Jahresbeginn nicht leicht im Plus, sondern mit rund 4 Prozent im Minus. Der Börsenwert dieser Unternehmen liegt bei knapp 6 Billionen US-Dollar und ist damit so hoch wie jener der 350 "kleinsten" Unternehmen in diesem Index oder aller Aktienwerte in der Eurozone zusammen.

Die Bezeichnung "der Markt" als Synonym für eine repräsentative Entwicklung ist daher kaum noch zutreffend. Zusätzlich ist eine solche Konzentration als Warnzeichen zu sehen, weil sie auf eine Überhitzung der Investorenstimmung und auf eine einseitige Positionierung der Anleger hindeutet. Dies ist einer der Gründe, warum wir taktisch vorsichtig bleiben.

Die beim EU-Sondergipfel Mitte Juli von den Staats- und Regierungschefs beschlossenen Hilfspakete dürften (vorbehaltlich der Ratifizierung) die Spreads der Euro-Staatsanleihen weiter schmelzen lassen. Wenngleich dort keine Fiskalunion nach dem Vorbild der USA beschlossen wurde, setzte man zumindest den ersten Schritt in diese Richtung. Dementsprechend bevorzugen wir innerhalb des europäischen Staatsanleihenmarkts nach wie vor Peripherieanleihen gegenüber europäischen Kernländern (vor allem Deutschland und Frankreich). Zusätzlich bleiben wir positiv hinsichtlich Staatsanleihen der USA und Großbritanniens.

In der Historie der Märkte für Euro- und US-Dollar-Unternehmensanleihen zählt der Juli meist zu den performancestärksten Monaten überhaupt. Dies trifft auch auf den Juli 2020 zu. Neben dem saisonalen Effekt profitierten Unternehmensanleihen von einer allgemeinen wirtschaftlichen Erholung sowie von geld- und fiskalpolitischen Stützungsmaßnahmen. Die vor wenigen Monaten noch hohen Ausfallsängste sind deutlich gesunken.

Risiken werden ausgeblendet

Emerging-Markets-Anleihen beurteilen wir trotz der kräftig gesunkenen Risikoprämien weiterhin als attraktiv und sind vor allem hinsichtlich Schwellenländer-Hartwährungsanleihen positiv gestimmt. Als Orientierungspunkt für die Entwicklung zählen für uns unter anderem die realen Renditen auf zweijährige US-Staatsanleihen, die in den vergangenen Monaten drastisch gesunken sind. Für Investoren im Bereich der Hartwährungsanleihen führt wohl an den Schwellenländern derzeit kaum ein Weg vorbei.

Die internationalen Aktienmärkte präsentieren sich angesichts der Nachrichtenlage weiter überraschend fest. Trotz Rückschlägen bei der Normalisierung des Wirtschaftslebens lassen umfangreiche Fiskalpakete und geldpolitische Maßnahmen die Investoren aktuell sämtliche Risikofaktoren ausblenden. Unterstützung kam zuletzt auch seitens der Unternehmensgewinne (eine bessere Berichtssaison als erwartet). Wir sehen kurzfristig zu viel Zuversicht eingepreist und sind daher weiterhin vorsichtig positioniert.

Asien, die wichtigste Region der Emerging Markets, ist global gesehen bisher am besten durch die Krise gekommen. Die Kombination aus hartem Lockdown und konsequentem Contact Tracing hat dazu geführt, dass man wohl dort am ehesten von einer V-förmigen Erholung sprechen kann. Schwellenländer-Aktien konnten sich zuletzt insgesamt recht gut entwickeln, obwohl einige globale Corona-Hotspots (Brasilien oder Mexiko) in der Region liegen. In Asien kommt es zu einem leichten Rückgang bei der Gewinnentwicklung. In Lateinamerika und Osteuropa sind dramatische Gewinneinbrüche zu verzeichnen.

In einem freundlichen Kapitalmarktumfeld setzt sich auch bei den Rohstoffpreisen die Erholung fort. Zuletzt konnte neben den zyklischen Industriemetallen insbesondere der Edelmetallbereich stark profitieren. Eine massive Ausweitung der Notenbankbilanzen, eine global steigende Staatsverschuldung und ein zuletzt deutlich schwächerer US-Dollar sorgen für Rekordzuflüsse bei börsengehandelten Produkten.