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Klischeebedienung in der Rechtsprechung

Von Katharina Braun

Gastkommentare

Mag es natürlich auch bei Gericht menscheln, so ist vor allem bei Strafprozessen besondere Obacht auf die Wortwahl zu geben.


Um den Tatverdacht des Mordes zu entkräften, hat Medienberichten zufolge unlängst in einem Gerichtsverfahren ein Angeklagter ausgesagt, "das" zwischen ihm und der Ermordeten sei nur eine Affäre und Spaß beim Fortgehen gewesen. Er habe also überhaupt keinen Grund zur Eifersucht gehabt. Vielmehr käme ein anderer Mann für die Tat in Frage, der ebenfalls eine Beziehung zu der Frau hatte. Der Angeklagte suchte den Tatverdacht zu entkräften; so weit so noch grundsätzlich nachvollziehbar.

Daraufhin soll die Richterin nachgefragt haben: "Frau H. war ein Partygirl?" Nicht nachvollziehbar ist, welche Erkenntnis das Gericht erhoffte, mit dieser Frage gewinnen zu können. Denn weder eine Bejahung noch eine Verneinung dieser Frage wäre geeignet, Aufschluss über die tatsächliche Art der Beziehung zwischen Opfer und Angeklagtem zu geben. Es geht um Mord! Ob das Opfer gern auf Partys ging oder lieber zuhause ein Buch las, ist rechtlich irrelevant. So hat es auch egal zu sein, ob ein Vergewaltigungsopfer einen kurzen Rock trug oder nicht. Mit dem Ausdruck "Partygirl" wird eine gewisse Geringschätzung dem Opfer gegenüber zum Ausdruck gebracht.

Mag es natürlich auch bei Gericht menscheln, so ist insbesondere bei Strafprozessen besondere Obacht auf die Wortwahl zu geben. Dies nicht nur, um die posthume Ehre des Opfers zu schützen, sondern natürlich auch im Hinblick auf deren Angehörigen. Dieser Fall zeigt jedoch auf, dass nach wie vor auch in der Rechtsprechung Geschlechterklischees bedient werden. So gibt es offenbar genaue Vorstellungen darüber, wie ein Opfer sich zu verhalten oder auch auszusehen hat. Natascha Kampusch zum Beispiel hat diesem Bild nicht entsprochen und musste dafür viel Häme einstecken.

Es gilt nach wie vor: Ein Mann mit vielen Frauen gilt als toller Hecht - eine Frau hingegen, die Sex mit unterschiedlichen Männern hat, als Schlampe. Im siebenteiligen Podcast "Der Mörder und meine Cousine" befassen sich der deutsche Schauspieler Burchard Dabinnus und die deutsche Journalistin Tatjana Thamerus mit den Hintergründen der Ermordung seiner Cousine im Jahr 2013. Diese war mit ihrem Nachbarn eine Beziehung eingegangen. Dieser Mann war in der Vergangenheit bereits mehrmals gewalttätig geworden. Er hatte Frauen vergewaltigt und in den 1980ern sogar schon in Wien eine Frau ermordet. In Folge drei der Podcast-Serie kam der bekannte Wiener Rechtsanwalt Herbert Eichenseder zu Wort (Minuten 16:53 bis 18:05), der den Mann vor Gericht in Wien vertreten hatte (in zwei Verfahren, zunächst wegen gefährlicher Bedrohung, dann - als er diese in die Tat umgesetzt hatte - wegen Mordes).

Der Strafverteidiger meinte, die Frau, die später auf offener Straße vor ihrem damals elfjährigen Sohn erschossen wurde, habe im ersten Prozess den Täter provoziert. Bildhübsch sei sie gewesen, eine Griechin, die dunklen Haare ganz blond gefärbt, im Verfahren habe sie ein enges, körperbetontes Kleid mit einem Riesenausschnitt getragen. Über ihren damaligen Prozessauftritt sagte Eichenseder: "Sie hat es vielleicht genossen, (...) mit dem (welcher von Justizbeamten im Gerichtssaal begleitet unbeweglich war, Anm.) kann ich machen, was ich will (...) Es mag Ihnen vielleicht nicht gefallen, aber es war so." Auch der Richter hätte, so der Strafverteidiger, gemeint, die habe dem Mann "es gegeben".

Bewusstseinsbildung nötig

"Der Mörder und meine Cousine" ist ein ganz aktueller Podcast, der im heurigen Juni vom Bayrischen Rundfunk veröffentlicht wurde. Er ist absolut hörenswert, macht er doch unter anderem sichtbar, wie viel auch gesellschaftliche Bewusstseinsbildung zur Bekämpfung von Gewalt an Frauen notwendig sein wird. Eichenseder liefert im Podcast übrigens auch eine Erklärung dafür, warum es seiner Meinung nach jetzt so viel Gewalt an Frauen gebe (Minute 23:25 im O-Ton): "Frauen sind viel selbständiger als früher. Meine Großmutter und meine Mutter sind nicht umgebracht worden, die waren zuhause und aus."

Für durchaus berechtigt viel Unverständnis und Aufregung hat ein 36 Seiten langes erstinstanzliche Urteil im Prozess gegen einen oststeirischen Arzt gesorgt. Darin ließ der Richter persönliche Werturteile einfließen und kommentierte unter anderem Kleidung und Aussehen der Zeugen. Im Verfahren ging es um den Vorwurf der Quälerei der eigenen Kinder. Im Ersturteil (einem Freispruch) wurde die Exfrau des Arztes vom Richter als überladene Person mit extravagantem Kleidungsstil beschrieben. Bei einer der Töchter wurden vom Gericht - zur Erschütterung ihrer Glaubwürdigkeit als Zeugin - deren Männerbekanntschaften ins Treffen angeführt, hingegen wurde der Angeklagte als wertverbundener, konservativer Mann beschrieben. Der Richter lieferte im Urteil auch gleichsam eine Rechtfertigung für dessen außereheliche Affären: "Während seiner aufrechten Ehe erhielt der Arzt aber offensichtlich zu wenig Aufmerksamkeit, sodass er diesen sexuellen Kick außerehelich ausleben musste."

Unterrepräsentierte Frauen

Die richterliche Beweiswürdigung ist sicherlich eine sehr verantwortungsvolle und keine leichte Aufgabe. Der Richter hat jedoch darauf zu achten (soweit einem dies als Mensch überhaupt möglich ist), dass in seine Entscheidung kein subjektives Sympathieempfinden einfließt, und sich Klischeebedienungen zu enthalten.

Die Universität Hamburg beschäftige sich 2017 mit der Darstellung der Geschlechter in juristischen Ausbildungsfällen. In dieser Studie wurden 87 Übungsfälle der Bucerius Law School und der Universität Hamburg ausgewertet. Das Ergebnis: Frauen sind in den Ausbildungsfällen unterrepräsentiert (nur 20 Prozent). Die Mehrheit der Frauen (46 Prozent) wird in den Fällen in Bezug auf einen Mann dargestellt. Frauen werden seltener als Männer als berufstätig geschildert. Während 62 Prozent der männlichen Fallpersonen einen Beruf ausüben, sind es bei den Frauen laut Studie nur 39 Prozent. Männer werden häufiger mit ihrem Beruf in Verbindung gebracht. "Ehefrau Elvira E." oder "Rechtsanwalt Robert R." sind gängige Beispiele. Frauen sind Freundin, Ehefrau oder Geliebte. So heißt es in einem Fall zur Vorbereitung auf das Erste Juristische Staatsexamen: "Der E. genügt das Haushaltsgeld, welches sie von B. erhält, nicht mehr. Um weiterhin mit ihren Freundinnen die ausgeladenen Sektfrühstücke im Hotel Adlon genießen zu können, nimmt sie bei der S- Bank einen Hausfrauenkredit in Höhe von 20.000 Euro auf."

Die Ergebnisse der deutschen Studie sind vermutlich auf österreichische Prüfungssituationen übertragbar. Lehrende wendeten mit Blick auf die Studie ein, dass die Fallbeispiele deshalb so gewählt worden seien, um den Prüflingen die Verinnerlichung des Prüfungsfalls zu erleichtern. Zur Erreichung einer echten Gleichberechtigung der Geschlechter ist eben auch noch viel gesellschaftliche Aufklärungsarbeit erforderlich.

Für einen Juristen ist die Fähigkeit, sich mit Inhalten kritisch auseinanderzusetzen und sich selbst immer wieder zu hinterfragen, jedenfalls außerordentlich wichtig. Diese Eigenschaft sollte bereits in der juristischen Ausbildung gefördert werden. Denn am Ende des Tages wird genau diese intellektuelle Flexibilität und Kreativität vielleicht der entscheidende Wettbewerbsvorteil sein, der uns Menschen von Robotern unterscheidet.

Der Verein der Autonomen Frauenhäuser hat 2014 einen Leitfaden zur gewaltfreien Berichterstattung veröffentlicht.