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Ein Hauch von Ostalgie

Von Harald Oberhofer

Gastkommentare
Harald Oberhofer ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien und forscht am Wifo.
© Roman Reiter / WU

Warum sind Unternehmen aus der EU nicht führend auf den digitalen Märkten?


"Alles in Allem unterstreicht die Entwicklung der Mikroelektronik in der Deutschen Demokratischen Republik die Richtigkeit des von uns eingeschlagenen Weges", schwärmte Erich Honecker im August 1989 anlässlich der Präsentation des U80701, eines Mikroprozessors, den der VEB Mikroelektronik "Karl Marx" entwickelt hatte. Dabei übersah der Genosse Generalsekretär nicht nur, dass der U80701 dem Stand der Entwicklung beim "Klassenfeind" um ein halbes Jahrzehnt hinterherhinkte, sondern auch, dass er keine schöpferische Leistung der DDR darstellte. Er war lediglich ein unlizenzierter Nachbau des DC333, den die Digital Equipment Corporation bereits 1985 auf den Markt gebracht hatte. Es wäre spannend gewesen, die weitere Entwicklung zu verfolgen, aber dann ging die ostdeutsche Computerindustrie gemeinsam mit dem real existierenden Sozialismus unter.

Ein Schelm, wen diese Anekdote aus dem Arbeiter- und Bauernstaat an die "State of the Union 2020"-Rede von Ursula von der Leyen erinnert. Darin fordert die Präsidentin der Europäischen Kommission, "dass die Europäische Industrie einen eigenen Mikroprozessor der nächsten Generation entwickelt, der uns erlaubt, die steigenden Datenmengen energieeffizient und sicher zu nutzen." Was immer auch diese Aussage in technologischer Hinsicht bedeuten soll, politökonomisch verströmt sie den Hautgout planwirtschaftlicher Industriepolitik. Ironischerweise wurde wenige Tage vor der Rede der Kommissionpräsidentin bekannt, dass einer der letzten relevanten europäischen Player auf dem Mikroprozessormarkt, der Chipdesigner ARM (UK), von der Softbank (Japan) an Nvidia (USA) verkauft werden soll. Nvidia ist ebenso wie ARM Chipdesigner. Die Übernahme stellt damit die Zukunft von ARM in Frage, deren Mikroprozessoren alle gegenwärtigen Smartphones und Tablets steuern. All das spielt sich aber sowieso außerhalb der EU ab.

Der Ökonom und die Ökonomin wundern sich allerdings, wie es soweit kommen konnte, dass die Kommissionspräsidentin die europäische Industrie erst auffordern muss, den Superchip der Zukunft zu entwickeln. Warum sind Unternehmen aus der EU nicht führend auf den digitalen Märkten und auch nicht bei den Technologien, die diese Märkte ermöglichen? In dieser Hinsicht ist die europäische Wirtschaftspolitik gescheitert und es ist fraglich, ob ein "much more of the same" die Lösung sein kann, oder ob die Grundlagen der europäischen Wirtschafts- und Förderpolitik zu hinterfragen und neu aufzustellen wären.

Auch die Aussage der Kommissionspräsidentin zum angehobenen CO2-Einsparungsziel, eine Folgenabschätzung habe "eindeutig ergeben, dass unsere Wirtschaft und Industrie dies bewältigen können", stimmt nachdenklich. Das klingt weniger nach goldener Zukunft als nach der Onkologin, die dem Patienten die Nebenwirkungen der Chemotherapie erläutert. Aber lassen wir die Schwarzmalerei, schließlich leben wir gemäß dem Lissabon-Ziel des Europäischen Rates seit 2010 im "wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt", oder, wie Erich Honecker bemerkt hätte: "Die EU in ihrem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf.

So eine Wirtschaft: Die Wirtschaftskolumne der "Wiener Zeitung". Vier Expertinnen und Experten schreiben jeden Freitag über das Abenteuer Wirtschaft.