Zum Hauptinhalt springen

Die Parteipolitik in den Krankenkassen

Von Ernest G. Pichlbauer

Gastkommentare
Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist.

Ein Zahlenwirrwarr, Merkwürdigkeiten in der Pandemie und ein Vertrauensverlust bei den Versicherten.


Im Frühjahr 2020 warnte Andreas Huss, ein hoher Krankenkassenfunktionär der roten Reichshälfte, noch vor bis zu einer Milliarde Euro Defizit. Geworden sind es, ohne die 60 Millionen Euro, die der Bund extra zuschoss, 71 Millionen Euro. Nun, diese Gebarungsvorschau-Nabelschau ist nichts Neues und eigentlich völlig nutzlos. Denn so eine Darstellung in absoluten Zahlen ist (milde ausgedrückt) irreführend. Die ÖGK - um die es hier hauptsächlich geht - hat eine Bilanzsumme von 15 Milliarden Euro - 1 Prozent sind dann schon 150 Millionen Euro -, womit ein Überschuss oder ein Defizit bis zu dieser Höhe schon eine ziemlich genaue Prognose ist. Allerdings wäre eben eine Defizitprognose von 7 Prozent (also die oben genannte Milliarde) schon etwas, wo man genauer hinschauen sollte, bevor man sie in den Raum stellt. Und noch genauer, wenn sie nicht eintritt.

Aber darum ging es wohl wirklich nicht. Es war natürlich Parteipolitik - der Defizit-Warner hat sich mit der türkisen Reform, die im Wesentlichen keine Prozesse bereinigt (also eher nur Türschilder ausgetauscht), sehr wohl aber die Zahl der roten Funktionäre - und nur die - dramatisch und völlig unnötig reduziert hat, nie abfinden können. Er wünscht sich ein krachendes Scheitern. Die moralische Vereinbarkeit einer solchen persönlichen und parteipolitischen Befindlichkeit mit dem Amt in der Selbstverwaltung ist fraglich - rechtlich ist das leider in Ordnung.

So weit also nichts Neues. Was das Jahr 2020 aber so besonders macht, ist die Pandemie. Und da wird es doch etwas gruselig. Je nachdem, wer gerade was sagt, haben die Kassen auf der Einnahmenseite wenig verloren. Laut Peter Lehner, einem hohen Kassenfunktionär der türkisen Reichshälfte, sind die Einnahmen sogar um etwa 2 Prozent gestiegen - und das bei einem Rückgang des BIP um 7 Prozent.

Zurückzuführen ist dieser "Einnahmenerfolg" auf steuerfinanzierte Maßnahmen wie etwa die Kurzarbeit. Womit klar ist, dass die selbstverwalteten Kassen eigentlich steuerfinanziert sind - was so nicht vorgesehen wäre.

Und ausgabenseitig? Ja, da ist ebenfalls ein "Erfolg" zu verbuchen. Denn die Ausgaben sind hinter den Erwartungen geblieben - weil die Menschen seltener zum Kostentreiber Arzt gegangen sind. Und was heißt das? Sind wirklich viele Arztbesuche vermeidbar? Wenn ja, sollten wir daraus nicht lernen und endlich die Kassenmedizin aus dem Minuten- und Groscherl-Geschäft herauslösen und Zeit beim Arzt besser honorieren? Wenn nein, haben wir da jetzt eine gewaltige Verschlechterung der Volksgesundheit, die wir wegen unserer miserablen Datenlage nicht erforschen können?

Auf so miesepetrige Fragen gibt es keine Antworten, denn es gilt doch, Erfolge zu feiern oder zu missgönnen - doch, das hat ebenfalls seine Wirkung. Je mehr sich die Funktionäre im gegenseitigen parteipolitischen Hickhack ergehen, desto irritierter sind die Zwangsversicherten. Und obwohl das Gesundheitssystem eigentlich gut gehalten hat, ist in der Pandemie deren Vertrauen gesunken - sehr zur Freude der Privatkassen, denn die sind tatsächlich Pandemiegewinner.