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Die Wirtschaft braucht offene Grenzen

Von Thomas Gindele

Gastkommentare

Das Handelsvolumen zwischen Österreich und Deutschland ist stark eingebrochen.


Die Corona-Krise und die damit verbundenen wirtschaftlichen Einschränkungen haben das Handelsvolumen zwischen Österreich und Deutschland drastisch reduziert. Die Zahlen der Statistik Austria von Jänner bis November 2020 zeigen dies deutlich: Der Wert der Einfuhr von Waren von Deutschland nach Österreich ist im Jahresvergleich um 9,3 Prozent auf 46,45 Milliarden Euro gesunken, das Ausfuhrvolumen um 4,8 Prozent auf 39,91 Milliarden Euro. In absoluten Zahlen bedeutet dies einen Rückgang des Exportvolumens nach Deutschland um mehr als
2 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Nach China hat Österreich im Gesamtjahr 2019 Waren im Wert von 4,46 Milliarden Euro exportiert. Allein der Rückgang im Exportvolumen mit Deutschland beträgt also rund die Hälfte des gesamten österreichischen Exportvolumens nach China.

Nun wurden die ersten Erholungstendenzen im bilateralen Waren- und Dienstleistungsverkehr durch die jüngste Grenzschließung zwischen Deutschland und Österreich erneut unterbrochen. Es sind vor allem kleine und mittlere Unternehmen im grenznahen Gebiet, denen dadurch der Zugang zu ihren Kunden erschwert wird. Sie kommen auch mit den behördlichen Auflagen kaum zurecht, wie die zahlreichen Anfragen in der Rechtsabteilung der Deutschen Handelskammer in Österreich (DHK) belegen. Die großen Industriebetriebe trifft es hingegen weniger. Sie haben gemeinsam mit ihren Logistikpartnern schon während den vorigen Lockdown-Phasen daran gearbeitet, die Lieferketten auch bei Einschränkungen an den Grenzen zu sichern.

Für die Wirtschaftsbeziehung zwischen den Nachbarländern Österreich und Deutschland ist der freie Zugang zu den Märkten unabdingbar. Der freie Waren- und Personenverkehr ist eine wesentliche Voraussetzung für das künftige Wirtschaftswachstum in beiden Ländern. Man denke nur daran, wie stark Österreichs Bruttoinlandsprodukt (BIP) vom Tourismus und damit zu einem großen Teil von deutschen Urlaubern abhängt.

Obwohl Österreich nur rund ein Zehntel der Fläche Deutschlands ausmacht, ist es für Deutschland der achtwichtigste Handelspartner, während Deutschland aus österreichischer Sicht unangefochten der Handelspartner Nummer eins ist. Man sollte daher annehmen, dass diese beiden Staaten bei Entscheidungen über das Grenzmanagement, die die Wirtschaftsentwicklung dermaßen stark beeinflussen, zusammenarbeiten. Doch das jüngste Beispiel an der Grenze zwischen Tirol und Bayern hat gezeigt, dass dies nicht der Fall ist. Tirol hätte schon beim Auftreten der ersten Corona-Mutation auf seinen bayerischen Nachbar zugehen müssen, um Maßnahmen vorzustellen, wie eine mögliche Ausbreitung über die Grenze verhindert werden kann. Die DHK wünscht sich daher für die Zukunft einen viel engeren Schulterschluss zwischen den Behörden in Deutschland und Österreich.

Die Sorge um die Aufrechterhaltung der Lieferketten führt auch dazu, dass die von der österreichischen Wirtschaftspolitik geforderte Verlagerung von Produktionsstätten nach Europa einen Dämpfer erhält. Der Flaschenhals liegt wohl direkt vor der Haustür.