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Achtung, Meinung!

Von Wolfgang Glass

Gastkommentare

Standortbestimmungen an sich selbst sind schwieriger als jene an anderen. Sie sind aber umso notwendiger.


Die hysterisch übertriebene Beschäftigung mit ein und demselben Thema und dessen Meinungen geht auf Kosten des Erwerbs von universitärem Wissen. Jeder scheint ein Experte in seiner speziellen Nische zu sein. In Wahrheit sind wir wohl fast alle Idioten, im besten Fall Fachidioten, wenn es ganz blöd kommt, Vollidioten.

Ein Thema - Corona mitsamt Impfungen und Maßnahmen - dominiert seit einem Jahr den Diskurs. Und zwar weltweit. Nur einmal wurden wir kurz aufgescheucht (durch die Terrornacht in Wien), ansonsten geht es großteils immer nur um dasselbe Thema. Dabei wurden wir alle sensibilisiert mit den Themen Virus, Hygiene, Impfungen und dergleichen mehr. Durch die übertriebene Meinungsflut, die eine solche intensive Beschäftigung mit einem einzigen Thema mit sich bringt, kommt es auch zu einer stark verunsicherten Öffentlichkeit. Die Flucht in soziale Schutzräume von Ideologien, Verschwörungstheorien, Impfgegnern/-befürwortern, Migrationsbefürwortern/-gegnern oder Veganismus führen zu Leitmeinungen, die Ersatzreligionen sein können. Wichtig ist, "gut" und "richtig" zu sein.

So schnell wir aber auch von einer Meinung zur anderen wechseln, so sehr krampfen wir oftmals am eigenen Leben fest. Standortbestimmungen an sich selbst sind schwierig. Wer hinterfragt schon gerne sein Leben, ob es auch tatsächlich dasjenige ist, das man führen möchte. Substanzielle Änderungen sind schwierig und anstrengend. Leichter ist es, die Standortbestimmung an anderen durchzuführen und "die Welt zu retten". Oder zumindest oberflächig so zu tun, als ob.

Bio, smart, sozial, gerecht, solidarisch . . . - die Bedürfnisindustrie hat für jeden von uns etwas parat, um sich zumindest im sozialen Nahraum "besser" und "richtig" fühlen zu können. Selbst wenn das eine Produkt dem anderen ähnelt, werden Meinungskriege teilweise innerhalb von Familien und Freundschaften geführt. Der Treibstoff ist die Emotion, die die vermeintlichen Unterschiede mit sich bringt. Das Produkt kann ein Auto sein, eine spezielle Supermarktkette, die Klopapiermarke oder gar ein spezieller Impfstoff. Argumentativ fundiert muss dabei nichts sein, emotional aufgeladen schon.

Das Coronavirus bedeutetfür jeden etwas anderes

Mit der richtigen Dosis an Emotion weiß man, was "richtig" und was "falsch" ist. Vor allem dann, wenn man keinen stabilen Fixstern (Mantra) hat, der einen durchs Leben führt. Die Addition, also das "Mehr von allem" (was auch immer, Hauptsache mehr), scheint zwar aus der Mode gekommen zu sein, die Abhängigkeit von ihr ist aber noch immer da. So leicht findet man dann nämlich doch keine Alternative und bleibt daher auch gerne bei Meinungen ohne Begründung - eine Schwester der Denkfaulheit.

Und so ist es völlig wurscht, wann das Coronavirus weg ist, weil es für jeden etwas anderes bedeutet. Das Leben vor der Pandemie wird es genauso wenig geben wie das nachher. Die Zeit steht nicht still. Es gibt nur das eigene Leben und die eigenen Wirklichkeiten, die wir uns auch selbst erschaffen. Politik, Unterhaltungsindustrie und dergleichen sind nicht vollumfänglich für unser tägliches Tun verantwortlich. Diese Verantwortung - so praktisch das wäre - können wir in Österreich nicht komplett abgeben. Hilfe anzunehmen und anderen zu helfen ist wichtig, kann aber nicht alles übernehmen.

Zufriedenheit mit sich selbst und somit in weiterer Folge mit der Mitwelt kann man nicht erkaufen, sondern muss man sich selbst aneignen. Das ist oft mühsam. Bevor man den "Weltretter" spielt (was natürlich einfacher ist, als sich mit sich selbst auseinanderzusetzen) und emotional wie ein Rumpelstilzchen sich und andere in einen Daueralarm versetzt, sollte man vielleicht einmal vor der eigenen Türe zusammenräumen. Mit Meinungsscharfmachern gleich welcher Couleur setzt man langfristig sicher aufs falsche Pferd.