Zum Hauptinhalt springen

Warum der Balkan uns die Welt bedeutet

Von Philipp Jauernik

Gastkommentare

Die definitiv nicht homogene Region Südosteuropa ist für die Europäische Union eine zentrale Zukunftsfrage.


"Wir glauben, dass es höchste Zeit ist, einen strategischen Blick auf den westlichen Balkan zu werfen." Ein Satz, dem nun wirklich niemand widersprechen kann. Speziell dann nicht, wenn man sich ein kleines Stück mit der Region Südosteuropas auseinandersetzt und ihre Chancen, Probleme und Risiken kennt.

Es ist daher sehr erfreulich, dass dieser Satz nicht irgendwo in einer der zahllosen Empör-Messages auf Twitter oder sonstwo gefallen ist. Nein, er findet sich in einem Brief an Josep Borell i Fontenes, seit 1. Dezember 2019 Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Unterzeichnet haben diesen Brief neben Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg auch dessen Amtskollegen aus Kroatien, Deutschland, Tschechien, Griechenland, Irland, Rumänien, der Slowakei und Slowenien. Eine durchaus gewichtige Allianz also, könnte man meinen.

Südosteuropa: "Hinterhof"oder "Vorzimmer"?

Es geht auch qualitativ weiter: "Wir müssen diskutieren, wie wir auf interne Entwicklungen vor Ort und auf das aktivere Engagement dritter Akteure reagieren können", adressieren die Chefdiplomaten von acht EU-Staaten das Engagement anderer, nichteuropäischer Mächte in der Region, die oft etwas despektierlich als "Hinterhof Europas" tituliert wird. Eine Bezeichnung, die ein bestimmtes Weltbild offenbart, das das Zentrum der Welt wohl eher im alten West- oder bestenfalls in Nordeuropa sieht. Durch die Augen eines aus Nordafrika Geflüchteten, dessen Ziel ein EU-Staat des europäischen Nordens ist, wäre mutmaßlich "Vorzimmer" zutreffender als "Hinterhof". Hier wird vielleicht antechambriert, aber nicht verweilt, jedenfalls nicht, wenn es vermeidbar wäre.

Allein dieses Beispiel zeigt, warum Südosteuropa eine völlig andere Art der Aufmerksamkeit braucht, als wir das bisher an den Tag gelegt haben. Egal, wie man zu Migrationsfragen steht, hier wird deutlich, warum Südosteuropa für die EU eine zentrale Zukunftsfrage ist: Hier entscheiden sich nämlich Sicherheitsfragen für den Rest der Union. Und das außerhalb des eigentlichen Zugriffsbereichs der Union.

Hier ist der Punkt, wo es haarig wird. Denn die Staaten Südosteuropas, die noch nicht in der EU sind (sechs an der Zahl - Albanien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien, die Republik Kosovo und Serbien, auch oft als "WB6" bezeichnet), sind bei näherer Betrachtung definitiv kein homogener Raum. Hier herrscht hohe gesellschaftliche, ethnische, religiöse und ökonomische Diversität. Dazu kommen historisch nicht unbelastete Verhältnisse, die noch vor etwas mehr als zwei Dekaden auch militärisch ausgetragen wurden.

Auch die geopolitischen Grundeinstellungen sind sehr unterschiedlich: Während in Serbien eine traditionell enge Verbindung zu Russland vorherrscht, orientiert sich dessen frühere Provinz Kosovo, seit 2008 souverän, stark an den USA, betont aber auch so stark wie kein zweites Land der Region, seine Zukunft ausschließlich im vereinigten Europa zu sehen. Serbiens Präsident Aleksandar Vucic pries aber im Vorjahr noch eine ganz andere Macht als "echte Freunde" seines Landes: China.

Jede noch so kleine Lücke wird von externen Akteuren gefüllt

Der ehemals isolationistische Riese agiert am Weltmarkt längst als quasi-imperialistischer Großkapitalist. Dabei verwenden die Gesandten Xi Jinpings keine Waffen, sondern ihre geballte Wirtschaftsmacht. Der Westbalkan ist ein wichtiger Transitteil der "One belt, one road"-Initiative. Chinesische Investitionen in Südosteuropa erreichen locker hohe zweistellige Milliardenbeträge jährlich - und das in geschlossenen Kreisläufen, denn chinesische Banken finanzieren (dringend benötigte) Infrastrukturprojekte in der Region. Mit der Auflage, dass chinesische Firmen mit dem Bau beauftragt werden. Diese wickeln ihn dann mit chinesischen Arbeitern, die extra eingeflogen werden, ab.

Wertschöpfung in der Region ist kaum vorhanden, China verdient mit seiner eigenen Initiative hingegen gutes Geld. Die Länder Südosteuropas spielen in ihrer Not mit. Und am Schluss ist das "Reich der Mitte" mitten in Europa politisch und ökonomisch fest verankert. Es mag brutal klingen, aber eines muss klar sein: Jede noch so kleine Lücke, die die EU in Südosteuropa aufmacht, wird von externen Akteuren sofort gefüllt.

Viel zu lange schon mit Versprechungen vertröstet

Zurück zur Initiative der Außenminister: Sie kommt spät, aber sie ist da. Viel zu lange schon wurden die sogenannten Westbalkanländer immer wieder mit Versprechungen vertröstet. Das Auftreten Europas als geopolitischer Akteur verlangt nach einer mutigen politischen Offensive Europas. Hier braucht es eine offensive Politik der EU, um Stabilität in diese für Europa strategisch sehr wichtige Region zu exportieren. Die längst versprochene Visa-Liberalisierung für die Bürger des Kosovo gehört genauso zu einer solchen Politik wie eine Beitrittsperspektive für die Ukraine. Je stärker der Druck der EU, desto höher auch der Druck der Bevölkerung dieser Länder auf ihre jeweiligen Regierungen, die notwendigen Reformschritte durchzusetzen, etwa bezüglich Rechtsstaatlichkeit und Kampf gegen die Korruption.

Es ist höchste Zeit.