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Warum Aktien attraktiv bleiben

Von Benjardin Gärtner

Gastkommentare
Benjardin Gärtner ist Leiter des Aktien-Portfoliomanagements und Committee-Mitglied bei Union Investment.
© Union Investment

Ein zinsbedingter Kursrückschlag kann für Wachstumsaktien längerfristig eher eine Chance denn ein Warnsignal sein.


Wie im Rausch jagen die Aktienkurse in Deutschland und den USA neue Rekordmarken. Der Kater nach dem Corona-Crash vor einem Jahr - längst vergessen. Ist es nach der Kursparty jetzt Zeit für eine Aktienabstinenz? Nein. Ein Mix aus zyklischen Titeln und Wachstumswerten kann potenzielle Störfaktoren wie steigende Anleiherenditen abmildern. Aktien bieten weiter gute Renditechancen.

Seit dem Corona-Crash geht es an den Aktienmärkten aufwärts. Nur ein markanter Renditeanstieg bei US-Staatsanleihen sorgte zwischenzeitlich für eine Korrektur. Doch abgebremst ist nicht abgewürgt. Denn anziehende Zinsen sind nicht zwangsläufig Gift für Aktien. Entscheidend ist der Grund für den Renditeanstieg. Aktuell erwarten die Märkte verbesserte Konjunkturaussichten. Das ist gut. Den höheren Anleiherenditen stehen damit perspektivisch höhere Umsätze und Gewinne der Unternehmen gegenüber. Ein schlechter Grund für den Renditeanstieg wäre es, wenn der Markt wegen eines starken Inflationsschubs Zinsschritte der Notenbanken erwarten würde. Dies ist aktuell nicht der Fall.

Weitere Börsenturbulenzensind kurzfristig wahrscheinlich

Trotzdem dürften die Börsen zunächst schwankungsanfällig bleiben. Ein Risiko bergen mögliche Rückschläge bei der Bekämpfung der Pandemie. Zudem könnten angesichts einer raschen Konjunkturerholung die Staatsanleiherenditen wie im Februar erneut kurzfristig überschießen und die Aktienmärkte belasten.

Ein weiterer Renditeanstieg bei Anleihen ist für die Aktienmärkte kein Problem, solange das Wirtschaftswachstum dynamisch bleibt. Turbulenzen sind trotzdem zu erwarten. Wie schon im Februar könnten Investoren wieder aus Wachstumsaktien in andere Titel umschichten. Gerät dadurch die Rally bei Apple, Amazon, Microsoft und Co. ins Stocken, belastet dies auch die US-Börsen - und indirekt die weltweiten Aktienmärkte.

Warum ist das so? Wachstumsaktien waren bisher die tragende Säule des Börsenaufschwungs. Aus Bewertungsgründen reagieren sie besonders zinssensitiv, also empfindlich auf Zinsveränderungen. Wird ein höherer Zins in der Ermittlung des fairen Werts zugrunde gelegt, hat dies in Kombination mit dem unterstellten lang anhaltenden hohen Gewinnwachstum des Unternehmens einen starken Effekt: Die Bewertung muss sinken. Das führt zwangsläufig zu nachgebenden Aktienkursen. Wegen ihres hohen Gewichts etwa im breiten US-Aktienindex S&P 500 führt eine Kursschwäche der Wachstumswerte zu spürbaren Indexverlusten.

Aktienanlage durch Fiskal- und Geldpolitik weiter gut unterstützt

Wichtig ist dabei: Die aktuelle Kurskorrektur bei Wachstumsaktien ist nicht gleichzusetzen mit schlechteren Gewinnaussichten für diese Unternehmen. Ein Kursrückschlag aus Zinsgründen kann bei Wachstumsaktien für längerfristige Investoren eher eine Chance als ein Warnsignal sein. Steigende Renditen bei Anleihen sind zum Beispiel nicht per se schlecht für den Technologiesektor. In den USA haben die Technologiewerte in den 1990er Jahren trotz steigender Zinsen und vergleichsweise hoher Bewertung noch lange Jahre eine gute Wertentwicklung gezeigt.

Es gibt zwei gute Gründe, warum der Aufschwung an den Aktienmärkten weitergehen dürfte. Zum einen dürfte die Inflation moderat bleiben, während die Konjunkturaussichten sich aufhellen. Ein Teuerungsschub ist unwahrscheinlich. Die wirtschaftlichen Folgen durch die Pandemie, wie beispielsweise am Arbeitsmarkt, sind zu groß, um ausgeprägte zyklische Inflationskräfte zuzulassen. Dies gilt für die Eurozone ebenso wie für die USA. Zwar können die Anleiherenditen noch etwas weiter steigen, wenn wir die Pandemie in den Griff bekommen. Sie dürften die Aktienrally aber nicht nachhaltig stören. Zumal die Notenbanken bereits angekündigt haben, dass sie im Fall eines zu steilen Renditeanstiegs dagegenhalten werden, um ein Abwürgen der fragilen Konjunkturerholung zu verhindern.

Zweitens verleihen mittel- und längerfristig größere staatliche Ausgabenprogramme den Aktienmärkten Aufwärtspotenzial. Das US-Hilfspaket über 1,9 Billionen US-Dollar ermöglicht die schnelle Erholung der US-Wirtschaft. Das wirkt sich weltweit positiv auf die Konjunktur aus. Zudem haben die US-Demokraten weitere Fördermaßnahmen auf der Agenda stehen, die vor allem in Infrastruktur, Innovationen sowie den grünen Umbau der Wirtschaft fließen sollen. Wenn diese Maßnahmen eine Mehrheit im Kongress finden, verleiht das dem Aktienmarkt neuen Schub. In der Europäischen Union steht zudem der Aufbauplan vor der Umsetzung, aus dem 20 Prozent in die digitale Transformation und 37 Prozent in die grüne Transformation der Wirtschaft fließen sollen.

Ausgewogener Mix von zyklischen und Wachstumstiteln

Damit sehen die kurz- und mittelfristigen Gewinnperspektiven für viele Unternehmen besser aus als seit langem. Dies rechtfertigt auch die hohen Bewertungen in einigen Sektoren und eröffnet weiteres Aufholpotenzial in von der Pandemie besonders hart getroffenen Branchen. In diesem Umfeld bleiben auch zyklische Branchen attraktiv. Dazu zählen Dienstleistungen aus den Bereichen Gastronomie, Freizeit und Verkehr, aber auch Konsum. Demgegenüber dürften defensive Werte wie Nahrungsmittelkonzerne oder Versorger eher schwächer abschneiden. Wichtig ist die Titelauswahl: Unternehmen sind vorzuziehen, die über eine solide Bilanz, ein bewährtes Geschäftsmodell sowie ein gutes Management verfügen. Unternehmen, die Stützungsmaßnahmen benötigen, sind zu meiden. Kurzfristig könnten sich deren Aktien zwar überproportional stark erholen, für längere Anlagezeiträume sind sie aber ungeeignet.

Nach einer Normalisierung der Wirtschaftslage bleiben strukturelle Wachstumstrends in den Bereichen Digitalisierung und nachhaltiger Transformation der Wirtschaft für den Aktienmarkt hochrelevant. Gerade vor dem Hintergrund möglicher umfangreicher staatlicher Fördermaßnahmen sollten Anleger die Entwicklung in diesen Bereichen genau verfolgen. Davon könnten zum Beispiel Wachstumswerte aus dem Bereich Technologie und Software profitieren, aber auch Unternehmen, die von der Digitalisierung von Industrie und Konsum sowie vom grünen Umbau der Wirtschaft Nutzen ziehen.

Als Fazit bedeutet dies: Am Aktienmarkt sind nach der starken Kursentwicklung seit dem Corona-Crash kurze, aber heftige Rückschläge möglich. Anleger sollten ruhig Blut bewahren. Taktisch empfiehlt sich ein ausgewogener Mix zwischen Zyklikern und Wachstumsaktien. Langfristig erhalten die von der Krise bereits verstärkten Trends wie Digitalisierung oder Nachhaltigkeit weitere Unterstützung durch staatliche Förderprogramme. Im Vergleich zu anderen Anlagen bieten Aktien weiterhin attraktive Renditechancen.