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Alles soll so bleiben, wie es künftig einmal sein wird

Von Josef Oberneder

Gastkommentare

Anmerkungen und Beobachtungen zum politischen Diskurs der Jetztzeit.


Humberto Maturana, der erst kürzlich verstorbene chilenische Neurobiologe und Mitbegründer des radikalen Konstruktivismus, formulierte einst die These: "Alles, was gesagt wird, wird von einem Beobachter gesagt." Beobachtung sei demnach die Differenz von Unterscheidung und Bezeichnung. Sie sei also eine Leistung, die nur etwas bezeichnen und beschreiben könne, weil sie das Beschriebene von etwas anderem unterscheide: die Vergangenheit von der Gegenwart, das Zentrum vom Rand, das Links vom Rechts, die Rechtmäßigkeit von der Unrechtmäßigkeit . . .

Gesellschaftspolitisch interessierte und geübte Beobachter können in diesen Tagen aus dem Vollen schöpfen. Sie können beobachten und unterscheiden, wie politische "Wunderkinder" der Vergangenheit zu zentralen Figuren einer gleichsam dystopischen Tagespolitik werden. Sie sehen Chat-Protokolle aus höchsten Regierungskreisen, die nicht nur Einblick in die politischen Machenschaften, sondern auch in die private Werteorientierung einzelner Politiker und Manager geben. Sie können beobachten, wie tagespolitische Reizüberflutung ("Flood the zone with shit") die inhaltliche Arbeit überlagert - permanent: Videobotschaften, Tweets und Bildmaterial.

Die Zukunft ist schon da

Wir müssen feststellen, dass angesichts dieser Entwicklungen politische Arbeit seltsam diffus wird. Sie nimmt die Form gewinnorientierter Leistung an. So als ob man etwas verkaufen müsse. Ja, sie wird in der Folge gar emotional und personal aufgeladen: Da wird vom "Sündenfall des Heiligen Sebastian" gesprochen und die Frage gestellt, wie lange sich Österreichs "Skandalkanzler" noch halten könne (im Magazin "Stern"), oder von "infantiler Politik", die ein Streben nach "totalitärer Kontrolle" sichtbar mache ("Süddeutsche Zeitung"). Oder von einer persönlichen Vernichtung eines Menschen im Sinne einer wohlgesteuerten Twitter-Häme im Zusammenhang mit dem Rückzug von Öbag-Chef Thomas Schmid ("Kurier"). Dies sind aber nur einige Randnotizen eines innenpolitischen Schauspiels, das mehrmals die roten Linien überschritten und den Beobachtern den Blick für die wesentlichen politische Zukunftsfragen völlig verstellt hat.

Oft ist die Rede von Volatilität und Komplexität als neuer und beinahe übergeordneter Qualität unserer Gesellschaft, die es zu bewältigen gelte. Wie wir sehen konnten, verlangen Corona und zahlreiche andere (selbstgemachte) Krisen ein politisches Steuerungsinstrumentarium, das sich tatsächlich ganz wesentlich von einer Logik der Korrektur gemachter Fehler unterscheidet. Sie verlangen nach einer Utopie, wie es künftig einmal sein wird. "The future is already here, but we need to pay attention to it", formulierte einmal der am MIT tätige Managementberater Otto Scharmer so treffend. Man müsse sich aus der Wahrnehmung des Gefängnisses der Vergangenheit befreien. Ein buchstäblicher Ortswechsel mit der höchsten Zukunftsmöglichkeit sei notwendig, um dann in der Gegenwart ganz neu ansetzen zu können. Dafür brauche es die Befreiung aus den schmutzigen Mechanismen der Politik und die Befreiung aus dem Sumpf des "Es war ja schon immer so". Längst wissen wir, dass die Lernerfahrungen einer Gesellschaft in verschiedenen Bereichen wie etwa der Sprache, den normativen Grundlagen oder den Entscheidungsstrukturen verankert sind. Demnach muss das Anprangern von Missständen neben den personellen Konsequenzen verstärkt auf der Ebene von Systemeigenschaften einer Gesellschaft ansetzen.

Eine wichtige Initiative

Zwölf namhafte Proponentinnen und Proponenten stehen nun vor einer Initiative, die sich für Rechtsstaatlichkeit und gegen Korruption einsetzt. Der frühere Leiter der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, Walter Geyer, formuliert stellvertretend für die Gruppe, jetzt sei der richtige Zeitpunkt, weil es sich um ein systemisches Korruptionsproblem handle. Jetzt, wo die Dinge so deutlich auf dem Tisch lägen, müsse man reagieren. Ein schlechter Zustand dürfe nicht perpetuiert werden.

Es brauche wieder mehr Anstand und Integrität in der Politik, eine Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und damit des Wirtschaftsstandorts sowie eine Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz. Eine moderne und umfassende Antikorruptions- und Transparenzgesetzgebung würde dann auch in Zukunft einen "Mandatskauf" verhindern. Ob tatsächlich das Finanzministerium aufgrund eines kritischen Artikels zur "Rolle der türkisen Führung innerhalb der ÖVP" eine Einstellung der Werbeschaltungen im Magazin "News" bekanntgab, kann hier nicht verifiziert werden. Jedenfalls bestätigt diese Pressemeldung aber die ebenfalls erhobene dringende Forderung nach Pressefreiheit, qualitativer Medienförderung und Bekämpfung von Inseratenkorruption. Der Initiative ist ein gutes Gelingen zu wünschen. Mit vielen Unterschriften und Mut, um das Künftige und Gewünschte in die Gegenwart zu bekommen. Sie könnte ein Mittel der Erkenntnis und ein Erlebnis für das Neue sein. Meine Unterschrift hat sie.