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Wirtschaft neu denken

Von Kurt Weinberger

Gastkommentare
Kurt Weinberger ist Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Hagelversicherung und Uniratsvorsitzender der Universität für Bodenkultur Wien.
© ÖHV

Das BIP als Kennzahl reicht nicht. Auch das Naturkapital muss betrachtet werden.


Unbegrenztes Wirtschaftswachstum um jeden Preis: Dieses Denken wird in Zeiten von Umwelt- und Klimakrisen zu Recht vor allem von der jüngeren Generation zunehmend kritisiert. Sie wird aber nicht gehört, viel zu stark sind andere Kräfte. Der dramatische Ukraine-Krieg mit den nun sichtbar gewordenen Abhängigkeiten zeigt die Grenzen des unbegrenzten Wachstums auf. Doch lernen wir daraus?

Blicken wir zurück auf den Beginn der Corona-Pandemie. Hat das Virus auch etwas Gutes? Weltweit führte der Erreger (zumindest vorübergehend) zu Verhaltensänderungen - vor allem während der Stillstandsphase - und damit zu (unfreiwilligen) Emissionsreduktionen. Plötzlich funktionierte das Leben etwa auch ohne exzessiven Flugverkehr. Wir haben erfahren, auf wie viele Flugreisen wir verzichten können. Doch heute fliegen wir wieder für 39 Euro nach London, also weit unter den Kosten, die der Flug verursacht, und das mit steuerbefreitem Kerosin. Die Konsequenz: Wir schädigen Umwelt und Staat gleichermaßen.

Kommen wir zu einem anderen Thema, zum Grundbedürfnis Lebensmittelversorgung: Es ist nicht selbstverständlich, Lebensmittel überall und sofort zu bekommen. Ernährungssicherheit kann man nicht importieren. Das zeigte schon die Corona-Krise, als es vielerorts leere Regale gab. Und nun zeigt eindrücklich und dramatisch der Ukraine-Krieg, was es bedeutet, wenn Europas Kornkammer keine agrarischen Rohstoffe mehr exportieren kann. Österreichs Landwirtschaft weist (noch) eine gewisse Stärke auf. Zunehmende Wetterextreme wie Frost, Hagel, Dürre, Überschwemmung und schwindende Agrarflächen durch Verbauung gefährden jedoch immer mehr die heimische Produktion. Dabei ist der Schutz der Souveränität eine der wichtigsten Aufgaben des Staates. Und dazu gehört die Lebensmittelversorgungssicherheit. Wer Sicherheit will, darf Böden nicht weiter zubetonieren. Denn ohne Böden kein Essen und ohne Essen kein Leben. Von Beton kann man nicht abbeißen.

Faktum ist: Nicht die Natur braucht uns, sondern wir brauchen die Natur. Daher müssen wir die Natur schützen und endlich einen Wandel hin zu einem intelligenteren Wirtschaftsdenken einleiten. Unbegrenztes Wirtschaftswachstum mit Gewinnmaximierung zu Lasten der Natur ist heute nicht mehr zeitgemäß. Das ist altes Denken. Daher dürfen wir den Wohlstand einer Gesellschaft nicht allein an einer einzigen Kennzahl, dem Bruttoinlandsprodukt, bemessen. Denn wie viel Schadwirkung sich hinter der Zahl verbirgt, bleibt verborgen. Wirtschaft muss neu gedacht werden. Wir müssen in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung auch die Kennzahl Naturkapital aufnehmen: Wie hat sich der Zustand der Natur, wie haben sich Boden oder Wasser innerhalb eines Jahres entwickelt? Denn wir brauchen einen intakten Naturraum, um zum Beispiel Klimakatastrophen abzufedern.

Ob und wie ein Wandel vonstattengeht, ist offen. Sicher ist jedenfalls, dass die Schwächen des jetzigen Systems deutlich sichtbar werden - womit auch der Ruf nach einem Wandel noch lauter werden wird. Wir müssen die Chance ergreifen und Wirtschaft neu denken. Unsere Kinder und Enkel werden es uns danken.