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Macht die Schulen endlich krisenfit!

Von Renate Anderl

Gastkommentare

Das Schulsystem verschiebt den Lernerfolg ganz allgemein zu stark ins Zuhause. Umso wichtiger sind offene Schulen.


Seit eineinhalb Jahren ist die Bildung im Griff der Corona-Pandemie. Einen Plan für einen geordneten Schulbetrieb ab Herbst gibt es nach wie vor nicht. Die Zeit drängt, denn in wenigen Wochen ist wieder Schulbeginn.

Die hohe Belastung von berufstätigen Eltern und ihren Kindern und Jugendlichen während der langen Monate des Distance-Learnings, der Lockdowns und etwaiger Quarantänezeiten sind mittlerweile ausreichend bekannt. Eine deutliche Zuspitzung der akuten psychosozialen Notfälle und der psychischen Belastungen bei Kindern während der Schul-Lockdowns spricht eine eindeutige Sprache. Kinder und Jugendliche befinden sich vermehrt in schwerwiegenden depressiven Krisen, auch Essstörungen und sogar Suizidalität steigen an. Unter Einhaltung aller Sicherheitsmaßnahmen sind offene Schulen nicht zuletzt aus psychosozialer Sicht ein wichtiger Schritt, um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken.

Die Bildungskluft zwischen jenen Kindern und Jugendlichen, die Hilfe von zuhause erwarten können, und jenen, die auf sich alleine gestellt sind, ist seit Beginn der Corona-Pandemie zusätzlich enorm aufgegangen und muss geschlossen werden. Es macht einen großen Unterschied, ob Kinder in Haushalten wohnen, wo schnell ein zusätzlicher Schreibtisch aufgestellt werden kann, wo es genug Tablets oder Laptops gibt, eine ausreichende Datenverbindung und Eltern, die ihre Kinder unterstützen können - oder ob ihnen diese Voraussetzungen fehlen.

Das Schulsystem verschiebt den Lernerfolg ganz allgemein zu stark ins Zuhause der Kinder. Das zeigt auch die Sonderbefragung der Schulkostenstudie 2020 der Arbeiterkammer (AK), für die mehr als 2.000 Eltern mit rund 4.000 Schulkindern befragt wurden, sehr deutlich. Jedes zehnte Kind kam im vergangenen Schuljahr nur schwer mit dem Lernstoff zurecht. Je nachdem, wie intensiv Eltern zuhause unterstützen können, ist der Effekt größer oder kleiner. So gaben 6 Prozent der Eltern mit Studienabschluss, aber 22 Prozent der Eltern mit maximal Pflichtschulabschluss an, dass ihre Kinder Schwierigkeiten mit dem Lernstoff haben. Diese Systematik setzt sich fort: Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder zur Nachhilfe. Alle anderen müssen selber sehen, wie sie zurechtkommen. Unser Bildungssystem ist auch ohne Krise schon höchst ungerecht.

Schulen, die viele Kinder ohne Lernunterstützung zu Hause begleiten, brauchen zusätzliches Personal nach dem AK-Chancenindex, der ebenfalls noch auf seine Umsetzung wartet. Das im Regierungsübereinkommen vereinbarte Pilotprojekt, bei dem 100 Schulen mit besonderen Herausforderungen zusätzliche Mittel erhalten sollen, um mehr Lehrkräfte, Freizeitpädagoginnen und -pädagogen sowie Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter an den Schulstandorten einsetzen zu können, wird der Größe der Herausforderung, die sich mit Corona noch einmal verschärft hat, nicht gerecht.

Die Schulentwicklung muss vorangetrieben werden

100 Schulen bedeutet, dass 10 von 11 Schulen mit großen Herausforderungen gar nichts bekommen und viele Kinder in diesen Schulen weniger Chancen auf einen guten Schulerfolg haben. Die Regierung lässt sich auch hier unnötig Zeit, obwohl internationale Beispiele wie etwa aus London bereits gut evaluiert sind und zeigen, was erfolgreich ist. In den kommenden Jahren muss die Schulentwicklung vorangetrieben und der AK-Chancenindex endlich umgesetzt werden, nur so wird die Schule zukünftig krisenfit sein.

Wir brauchen eine Schule, in der die Kinder genug Zeit und Unterstützung bekommen, damit sie durch die Krise kommen und das Gelernte durch individuelles Üben festigen können. Wir brauchen klare Regeln und Strategien, damit der Lernerfolg der Kinder nicht weiterhin vom Geldbörserl der Eltern abhängt. Während der Pandemie müssen wir Erlebnisse, Kontakte zu Mitschülerinnen und Mitschülern, Bewegung und Lernen für jedes Kind sicherstellen.

Die Schulleitungen, die Lehrkräfte und das schulische Unterstützungspersonal sind während der Pandemie über sich hinausgewachsen, um den Kindern und Jugendlichen gute Rahmenbedingungen in diesen herausfordernden Zeiten zu ermöglichen. Von Seiten des Bildungsministers ist allerdings leider wenig Initiative gekommen. Auf Vorschläge von Arbeiterkammer und anderen Organisationen wurde nicht eingegangen, ein offener Brief mit konkreten Maßnahmen liegt seit mehr als einem Monat beim zuständigen Minister - bis jetzt unbeantwortet.

Zuletzt wurden Pläne für Anfang August angekündigt, sie dürften hauptsächlich aus einer Teststrategie bestehen. Das ist allerdings deutlich zu wenig und wird den Kindern schon lange nicht mehr gerecht. Die Zeit drängt: In sechs Wochen ist Schulbeginn. Für das Wohl unserer Kinder wäre es höchste Zeit, die verbleibenden Sommerwochen nun endlich dafür zu nutzen, Schule zu einem sicheren Ort und Bildung endlich krisenfit zu machen.