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Eine Anrede für alle Geschlechter

Von Daniel Leisser

Recht

Gleichstellung heißt auch, niemanden sprachlich zu bevorzugen. Doch was heißt es für das Bildungsministerium, die -direktionen und die Schulen, wenn Geschlechtsidentität nicht mehr verordenbar ist?


Warum gibt es in Österreich keine eindeutigen Bestimmungen, wie Geschlecht an Schulen sprachlich abgebildet werden soll? Art. 7 B-VG schließt unter anderem Vorrechte des Geschlechts aus, doch eine konkrete Legaldefinition, was unter Geschlecht verstanden werden soll, bleiben das Bundes-Verfassungsgesetz und auch das Personenstandsgesetz schuldig.

Seit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) aus dem Jahr 2018 (G 77/2018) steht fest: Die selbstbestimmte Geschlechtsidentität einer Person muss mit der Geschlechtseintragung im Personenstandsregister überstimmen; ein "Überstülpen" einer bestimmten Geschlechtsidentität soll es fortan nicht mehr geben. Das ist gut so, denn Sprache schreibt zu, schließt ein und aus, konstruiert Wirklichkeit, ja, sie erschafft ganze Universen von Sinnbeziehungen durch Kategorisierungen. Doch was heißt es für das Bildungsministerium, die Bildungsdirektionen und vor allem für die Schulen, wenn Geschlechtsidentität nicht mehr verordenbar ist?

Zugegebenermaßen: Es ist immer einfacher, wenn es einen Lehrplan, einen Erlass, eine Weisung, ein Unterrichtsprinzip gibt, denn das entbindet scheinbar von persönlicher Verantwortung. Im Sinne des Unterrichtsprinzips zur Erziehung zur Gleichstellung von Frauen und Männern soll Geschlecht als "gesellschaftliche Strukturkategorie" begriffen und hinterfragt werden. Ziel ist, "Genderkompetenz auf allen Ebenen (Lehrende, Schülerinnen und Schüler, . . .) zu entwickeln".

Das klingt fortschrittlich, ist es aber nicht, denn gerade in der unreflektierten Reproduktion von Geschlechterbinarität in Normtexten, auf Schulwebseiten, in Elternbriefen und nicht zuletzt in der Klasse zeigt sich noch viel Raum für Reflexions- und Diskurskompetenz. Wir kommen wieder zum Spannungsfeld von Sein und Sollen, doch auch das Sollen, das unser Zusammenleben - auch das in der Schule - regelt, ist noch weitestgehend binär versprachlicht.

Ziel muss sein, zu entgendern

Eine kurze Analyse der Versprachlichung von Personenreferenzen im Schulunterrichtsgesetz belegt die Aufrechterhaltung der Geschlechterbinarität. Die Singularformen Schüler und Schülerin treten insgesamt 483 Mal auf, wobei circa 85 Prozent dieser Personenreferenzen ausschließlich auf die maskuline Form entfallen und nur etwa 15 Prozent auf die feminine. Es geht hier nicht darum, männliche Formen zu dämonisieren und weibliche aufzuwerten, das Ziel muss sein, zu entgendern, also die Trampelpfade der Binärität hinter sich zu lassen.

Es gilt, eine Form zu finden, mit der alle Menschen zugleich angesprochen werden können, unabhängig davon, mit welcher Geschlechtsidentität sie sich identifizieren. Gleichstellung heißt eben auch, niemanden sprachlich zu bevorzugen. Ein generisches Femininum, also die ausschließliche Nennung der weiblichen Form, kann daher nicht die Lösung sein.

Erst durch die Suche nach geschlechtsneutralen Formen wird sich die Gesellschaft der diskursiv geschaffenen, aber keineswegs immer rational begründbaren Geschlechterordnungen bewusst; Geschlechterordnungen, die in Schulen mitunter an kommende Generationen weitergegeben werden.

Schüly als Diskussionsstart

Ein Vorschlag meines langjährigen Kollegen Thomas Kronschläger ist das Entgendern nach Hermes Phettberg (österreichischer Schauspieler, Anm.): Nimm den Wortstamm und hänge ein -y dran. Aus Schüler und Schülerin soll also Schüly werden. Gewöhnungsbedürftig und keine Allweltlösung, aber der Ausgangspunkt einer wichtigen Diskussion auch im Kontext von Schule, Schulrecht und Geschlechterrepräsentation. Ich denke, wir sind bereit, sie zu führen.

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