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"Tu Felix Austria . . ." - in guter Gesellschaft?

Von Paul Reinbacher

Gastkommentare
Paul Reinbacher arbeitet an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich auf einer Professur im Fachbereich Bildungswissenschaften. Sein Buch "Fehlvereinfachungen" ist im ersten Jahr der Pandemie entstanden und im heurigen Frühjahr bei Passagen erschienen.
© privat

Österreich erweckt immer noch den Anschein einer "Insel der Seligen".


Wir lesen immer öfter von Gräben, die unsere Gesellschaft durchziehen und das Gemeinwesen nicht nur während des Wahlkampfs (also in Zeiten "fokussierter Unintelligenz", wie Michael Häupl es einst formuliert hat) in gegnerische Lager spalten. Sofern allerdings öffentliche Debatten einen Indikator für Wohl und Wehe des sozialen Gefüges darstellen, können wir uns in Österreich auf jener "Insel der Seligen", von der man in Anlehnung an Papst Paul VI. in den 1970er Jahren gesprochen hat, wohl weiterhin glücklicher schätzen, als es das grelle Scheinwerferlicht medialer Debatten oft erscheinen lässt.

Wie gut muss es nämlich einer Gesellschaft gehen, in der Beschränkungen beim Besuch von Bars und Beauty-Salons als ein Eingriff in fundamentale Freiheits- und Bürgerrechte diskutiert werden können, der sich sogar in Wählerstimmen übersetzen lässt (wenngleich das angesichts des aktuellen Weltgeschehens beziehungsweise sogar mit Blick auf die mancherorts in Europa geführten Auseinandersetzungen als ziemlich zynisch erscheint)? Und wie gut muss es einer Gesellschaft gehen, in der große Gruppen die grundsätzlich gute und kostenlose medizinische Versorgung sowie Vorsorge für die Bevölkerung als Gefahr bezeichnen können?

Was sagt es außerdem über das Wohlergehen einer Gesellschaft aus, wenn nicht wenige Menschen jener Wissenschaft, die alltägliche Annehmlichkeiten (wie Mobilität, Medien und anderes) sowie spezifische Sicherheiten (wie ein gut ausgebautes Gesundheitssystem) ermöglicht hat, insgesamt mit dezidiertem Desinteresse oder gar mit aggressiver Ablehnung begegnen? Und was sagt es über das Wohl einer Gesellschaft aus, wenn die Errungenschaften des Fortschritts als so selbstverständlich angesehen werden, dass auch wissenschaftliche Forschung inmitten einer Pandemie weniger als Verbündete, sondern vielmehr als Gegnerin gelten kann?

Wer beneidet nicht zuletzt eine Gesellschaft, in der Irrationalität und Ignoranz toleriert werden beziehungsweise Glaubenssätze und Gefühle statt faktenbasierte Erkenntnisse und Evidenzen das Handeln vieler bestimmen können, ohne dass dies binnen kürzester Zeit zum Kollaps des Systems führt? Und wer beneidet nicht eine Gesellschaft, in der das Bildungssystem angesichts alarmierender Akzeptanz von haarsträubenden "Fake News" und der Ausrichtung an "alternativen Fakten" am bewährten Kurs festzuhalten imstande ist und die Verantwortlichen ihre Ruhe bewahren können, statt in besorgte Betriebsamkeit verfallen zu müssen?

Sollte all dies jedoch nicht Ausdruck von Seelenruhe, sondern von Seligkeit im Sinne von (intellektueller) Anspruchslosigkeit sein, um Marie von Ebner-Eschenbach frei zu interpretieren, ließe diese Apathie angesichts heutiger und sich am Horizont abzeichnender Herausforderungen nichts Gutes erwarten. Denn auf geschickte Heiratspolitik will sich heute sogar in guter Gesellschaft niemand mehr verlassen. Oder doch? Immerhin sind TV-Formate wie "First Dates", "Bauer sucht Frau", "Amore unter Palmen" oder "Bachelor" sehr erfolgreich. Ist ja auch alles irgendwie eine Art Aufklärung, wenngleich nicht unbedingt im Kant’schen Sinne.