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Viel zu viele Patienten

Von Ernest G. Pichlbauer

Gastkommentare
Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist.

Ein System, das strukturorientiert, aber patientenfern ist, führt unweigerlich zu hoher Belastung und niedrigen Gehältern bei mäßigem Erfolg - aber zu glücklichen Politikern.


Im Sommer stand an dieser Stelle, dass es zahlenmäßig keinen Ärzte- und Pflegekräftemangel gibt - aber auch, dass das die Politik wenig interessiert. Mehr zu fordern, ist einfach sehr beliebt. Doch was sind die Konsequenzen? Seit langem wird moniert, dass die Versorgung viel zu spitalslastig ist. Zwar haben uns die Deutschen 2020 überholt, aber der Drittplatzierte in der EU behandelt 30 Prozent weniger Patienten im Spital, gegenüber dem EU-Schnitt sind es 60 Prozent. Umgerechnet in Patienten wären das etwa 750.000 vermeidbare Aufnahmen.

Wenn wir Patienten im Spital behandeln, benutzen wir - gemessen an den Betriebs- ohne Personalkosten - die teuerste Infrastruktur. Wir geben schon ziemlich viel Geld dafür aus, aber verglichen mit anderen Ländern und in Relation zum Patientenaufkommen auch wieder nicht. Und um das zu erreichen, müssen bei uns die Personalkosten niedrig und die Belastung hoch sein. Im Kassenbereich ist es das gleiche Spiel: extrem hohe Inanspruchnahme bei relativ geringen Ausgaben - viele, zu viele Patienten pro Arzt. Nur so als Beispiel: Ein Hausarzt in Österreich dürfte - die Datenlage hierzu ist schlecht - im Schnitt und in Relation zum Durchschnittseinkommen der Bevölkerung, im internationalen Vergleich gar nicht so schlecht verdienen. Aber er sieht viermal so viele Patienten pro Tag wie seine internationalen Kollegen. Massenbetrieb eben, wie die Krankenkassen das vorsehen.

Über die Wahlärzte wissen wir praktisch gar nichts - die Ausgaben dort werden nicht richtig erfasst, weil so getan wird, als würden diese großteils nur unwichtige Medizin betreiben. Da Ärzte umsatzsteuerbefreit sind und nur die bei den Kassen eingereichten Honorare erfasst werden, würde die Statistik nahelegen, dass die Wahlärzte alle am Hungertuch nagen- warum deren Zahl steigt, ist daher ungewiss.

Und im Pflegebereich? Wir haben es geschafft, derart stark auf informelle Pflege zu setzen, dass Patienten zuerst ins Bett und dann ins Heim gepflegt werden. Auch hier haben wir viel zu viel stationäre Versorgung und damit wiederum die teuerste Infrastruktur und müssen bei den Personalkosten sparen. Dazu kommt, dass der durchschnittliche Pflegefall, der professionell versorgt wird, bereits ein schwerer Pflegefall ist. All die modernen Pflegeansätze, die präventiv wirken, kommen zu spät. Und aus der Sicht der einzelnen Pflegekraft ist es psychisch daher unglaublich anstrengend, so viele "hoffnungslose" Fälle zu sehen. Es ist kein Wunder, dass 85 Prozent der mobilen, und 40 Prozent der stationären Pflegekräfte in Teilzeit arbeiten.

Am Ende verzeichnen wir, weil die Politiker aller Ebenen es nicht schaffen, eine patienten- statt (pfründe-?)strukturorientierte Reform umzusetzen, eine extrem hohe Inanspruchnahme aller Gesundheitsleistungen, ohne hohe Gesundheit und niedrige Pflegebedürftigkeit zu erreichen - und weil wir dann in teuren Strukturen viele Gesundheitsprofessionisten mit möglichst niedrigen Kosten brauchen, spürt jeder einen Mangel und jammert übers Geld - das Prinzip "Mehr in der öffentlichen Versorgung" führt so zu belastenden Arbeitsbedingung bei relativ niedrigen Gehältern und zu einer Flucht in die Teilzeit oder in den Wahlarztbereich.