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Höchste Zeit für eine europäische Industriestrategie

Von Christoph Leitl

Gastkommentare
Christoph Leitl ist Präsident von Eurochambres und der Initiative Wirtschaftsstandort Oberösterreich (IWS).
© Kucera

Europa braucht eine Innovations- und Exportinitiative.


Europa ist, was Energie und Rohstoffe betrifft, ungeheuer abhängig und damit verwundbar. Daher muss Europa im Zuge einer eigenen industriellen Strategie definieren, welche Sicherheiten man in den Lieferketten braucht, und diese mit speziellen Handelsabkommen sicherstellen. Der derzeitige Engpass geht vor allem auf die enorme Nachfrage der USA und Chinas zurück. Beide haben aktuell Wachstumsraten von 8 bis 9 Prozent, Europa liegt bei 4 bis 5 Prozent.

Eine weitsichtige europäische Wirtschaftspolitik muss daher darauf achten, dass man nicht nur mit den hochentwickelten Ländern wie den USA, Japan oder Kanada Wirtschaftsabkommen schließt, sondern auch mit Ländern, die für Europas Energie- und Rohstoffversorgung essenziell sind. Und wir dürfen Afrika nicht vergessen: Der Kontinent hat ein unglaubliches Potenzial. Europa muss hier als Partner in Bildung und Qualifikationen investieren und darf Afrika nicht den Chinesen überlassen.

Daher braucht es eine europäische Innovations- und Exportinitiative. Es ist höchste Zeit für eine europäische Industriestrategie, die auch die Achillesfersen Europas berücksichtigen muss - drei Alarmsignale möchte ich dazu erwähnen.

Alarmsignal 1 - Qualifikation: Während wir uns im beruflichen Bereich im Rahmen der dualen Ausbildung durchaus auch international in die Auslage stellen können, sieht es im schulischen Bereich eher düster aus. Die Absolventenzahlen in Asien, insbesondere in den technologisch orientierten Zukunftsfeldern, geben eine Ahnung, was da auf uns zukommt. Oberösterreich ist mit der Idee einer Technischen Universität absolut auf dem richtigen Weg, allerdings aus meiner Sicht viel zu langsam. Wenn man sieht, wie das anderswo geht, wie zum Beispiel in Singapur in kürzester Zeit eine weltweite Spitzenuniversität von heute auf morgen entsteht, müssen wir uns fragen, warum wir das nicht so können. Und wir müssen uns fragen, ob es ausreichend Anreize gibt, auch in Zukunftsfeldern zu studieren; diese eröffnen schließlich tolle Lebensperspektiven.

Alarmsignal 2 - mangelnde Innovation: Die Zahlen lassen erschaudern: 2019 hat China 46 Prozent aller weltweiten Patente angemeldet, die USA 19 Prozent, Japan 10 Prozent, Südkorea 9 Prozent und Europa - bitte festhalten! - ganze 6 Prozent. Wir haben also dringenden Aufholbedarf in kreativen Innovationen und müssen unsere Stärken einer besseren Kooperation und Kombinationsfähigkeit viel deutlicher entwickeln und ausspielen. Innovation bedeutet Vorsprung, bedeutet Erfolg, bedeutet Sicherung unserer Lebensstandards.

Alarmsignal 3 - fehlende Handlungsfähigkeit: Was für ein jämmerliches Bild gibt Europa (auch Österreich) in der Bewältigung der Pandemie ab? Die Chinesen grinsen breit und sehen ihr System der kollektiven Disziplin, verbunden auch mit einer rigorosen Überwachung, bestätigt. Sie sind längst mit tollen Wachstumsraten zurück, die USA holen auf. Wir in Europa taumeln, suchen unser Heil in Nationalismus, jeder kämpft auf eigene Faust, von Solidarität oder Koordination keine Spur. Wir brauchen in Europa eine Pioniergruppe, die die Zeichen der Zeit erkennt und bereit ist, sich nicht wechselseitig zu lähmen, sondern voranzumarschieren.