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Flüchtlinge als "Kleingeld" für die Taliban

Von Rainer Stepan

Gastkommentare

Die Afghanistan-Katastrophe und Österreichs außenpolitische Fantasmen.


Der damalige Kanzler Sebastian Kurz versprach im heurigen September mehr als eine Milliarde Euro für Entwicklungszusammenarbeit; mit einem Teil dieses Geldes sollten die Nachbarstaaten Afghanistans "unterstützt und stabilisiert" werden, um Afghanen dorthin abschieben zu können. Das sind durchwegs durch Unterdrückung und permanente Missachtung der Menschenrechte "stabile" Diktaturen, die im Gegensatz zur Zeit vor 2015 keinen Grund mehr für politische Veränderungen sehen.

Im Norden Pakistans leben großteils Paschtunen, es ist ein Rückzugsgebiet und auch ein Nachwuchspool der Taliban, die sich mehrheitlich aus dieser Volksgruppe rekrutieren. Dort hat der Rechtsstaat kein Zuhause. Im Iran, einer "Gottes-Diktatur", sind Afghanen sehr unbeliebt und bekommen nur in den seltensten Fällen Papiere, auch wenn sie Hazaras, somit Schiiten sind. Doch blicken wir zunächst zurück.

Von der ursprünglichen Idee des Wiener Bürgermeisters Michael Häupl, die gesamte Metropolenaußenpolitik der Stadt Wien ab 1994 im Presse- und Informationsdienst (PID) anzusiedeln, blieb nur der Autor dieser Zeilen. Damals wurde in diesem Seitenarm der Stadtverwaltung ein außenpolitisches Themenspektrum gewählt, das für die Zukunft nicht nur Wiens, sondern auch Österreichs und Europas von Bedeutung sein würde, aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht mit freiem Auge erkennbar war.

Eine interessante Region

Neben dem Nordosten der Türkei waren es die Länder Zentralasiens, des Südkaukasus und die Ukraine, die für Europa ein ökonomisch lukratives Aufbauprojekt darstellten. Strategisch wie auch religiös-ideologisch war es damals ein wichtiger "Cordon Sanitaire" gegenüber Afghanistan unter der Taliban-Herrschaft und vor allem auch der neuen Großmacht China. Außenminister Alois Mock war daran sehr interessiert. Da diese Länder bis 1991 Teil der Sowjetunion waren, fühlen sich deren Eliten bis heute als Europäer - ohne jedoch die Werteskala Europas internalisiert zu haben. Heute ist sie auch in Europa selbst kaum Basis aktueller Europapolitik.

Um für diese Länder, vor allem für die Bewohner ausgesuchter Regionen und Städte, etwas tun zu können, muss man sie und ihre jeweiligen Lebenssituationen kennen. Auf dieser Wissensbasis lassen sich konkrete Entwicklungsprojekte mit den Betroffenen andenken, entwickeln und umsetzen, die dann wieder Ausgangspunkt für ähnliche Aufbaumaßnahmen in angrenzenden Regionen sein sollten. Diese Vorbereitungsarbeiten geschahen auch intensiv mit Hilfe großartiger Fachleute der Stadt Wien sowie externer österreichischer und europäischer Experten und der zuständigen, sehr energischen wie zielorientierten, für den Großteil der Region verantwortlichen Diplomatin.

Das Ziel war es, den Bewohnern der Region durch die schrittweise und koordinierte Umsetzung der Aufbauprojekte Arbeit und Einkommen, damit ein tägliches Auskommen zu ermöglichen und langsam Wohlstand und Selbstbewusstsein unter ihnen zu entwickeln. Das sind auch die Grundvoraussetzungen für einzuforderndes, politisches Mitspracherecht und damit breitere Partizipation an der Macht, die leider bis heute zumindest in Zentralasien nur in den Händen weniger, meist korruptester ehemaliger Sowjet-Kader geblieben ist, die aber damals in Gegnerschaft zu Russland und China kooperationsbereit waren. Begonnen haben wir diese Initiativen in den drei Südprovinzen Kirgisistans, im fruchtbaren Ferganatal, das auch Regionen Usbekistans und Tadschikistans beheimatet.

Ausbildung in Wien

Von 1997 bis 2013 wurden als Vorbereitung auf die gemeinsam erarbeiteten Projekte Gouverneure, Bürgermeister, Beamte, Fachleute, Journalisten und andere Multiplikatoren in Österreich ausgebildet. Für die betroffene Bevölkerung gab es Informations- und Diskussionsabende. Die Workshops hatten nur einen kurzen theoretischen Informationsteil, alle übrigen Programmpunkte waren praxisorientiert wie Besichtigungen heimischer Betriebe und Projekte, die für die Region interessant waren. Vor allem wurden auch negative Beispiele gezeigt, um Fehler zu vermeiden.

US-Präsident George W. Bush sprach im Jahr 2001, wenige Wochen nach 9/11, Kanzler Wolfgang Schüssel in Washington auf diese Ausbildungen an und fragte, ob sich die USA beteiligen könnten. Somit gab es in den folgenden Jahren US-Regierungsgeld und zwei bis drei US-Referenten für die vierzehntägigen Stadt-Wien-Seminare. Das Ende kam mit der Finanzkrise 2008/09 sowie dem Desinteresse in Wien und bundesweit nach Mock.

Angst vor Taliban eint

Das Grundproblem war, dass keine Institution die Erarbeitung der Masterpläne, also die Projektentwicklung, finanzierte. Für die Umsetzung hätte es genug Geld, etwa von der Europäischen Investitionsbank (EIB) gegeben. Aus diesem Grund hat es auch noch keine gravierenden politischen und ökonomischen Veränderungen in diesen Ländern gegeben. Sie sind bis heute autoritäre Regimes wie in Kirgisistan und sehr grausame Diktaturen wie in Turkmenistan geblieben. Es eint sie die Angst vor den Taliban, die seit vielen Jahren in diesen Ländern die einfachen Menschen, die wenig Hoffnung auf Veränderung haben, missionieren. Dieselben Politiker, mit denen damals regelmäßig Wodka getrunken wurde, konsumieren heute keinen Tropfen mehr in der Öffentlichkeit.

Außerdem requirieren die Taliban in diesen Ländern Kinder für den Drogenschmuggel über Russland nach Europa. Eltern, die ihre Kinder davor bewahren wollen, werden vor deren Augen erschossen. In Usbekistan gab es bereits vor Jahren einen islamistischen Putschversuch; in Tadschikistan tobte jahrelang ein Bürgerkrieg zwischen Islamisten und ex-sowjetischen Machthabern, den Letztere mit russischer Hilfe für sich entschieden. In Turkmenistan wird der Präsident gottähnlich verklärt und in Liedern als die personifizierte Sonne besungen; wenn er ankündigt, abends nach Hause zu fahren, müssen auf seinem Weg alle Verkehrsteilnehmer seitlich halten, bis sein Konvoi vorüber ist - es dauert oft Stunden, bis er tatsächlich vorbeikommt, und das bei jeder Witterung.

Mit diesen Ländern will Österreich also über Abschiebezentren für afghanische Flüchtlinge verhandeln. Die dortigen Machthaber würden natürlich gern österreichisches oder europäisches Steuergeld einstecken. Die abgeschobenen Afghanen jedoch wären "Kleingeld" für Zugeständnisse der Taliban ihnen gegenüber - sprich: Sie würden den Taliban übergeben und wohl als Verräter hingerichtet. So ist Österreichs Außenpolitik das Ergebnis der innenpolitischen Panik der ÖVP, womöglich Wähler an die FPÖ zu verlieren. Das Schicksal der Betroffenen - deren sicherer Tod - ist da vollkommen egal.