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Südosteuropa ist nach wie vor labil

Von Erhard Busek

Gastkommentare

Explosionsgefahr besteht am Balkan immer.


Gegenwärtig beschäftigt uns mehr die Ukraine, aber Explosionsgefahr besteht am Balkan immer, was insbesondere für die weiche Flanke unseres Kontinents von großer Bedeutung ist. Wenn in einer akademischen Einrichtung in Ungarn der Versuch unternommen wird, Gedächtnispolitik und Populismus in Südosteuropa zu behandeln, verdient das besondere Aufmerksamkeit. Geschehen ist das im Institute of Advanced Studies in Köszeg, das knapp an der österreichischen Grenze liegt und eine weitestgehend unabhängige akademische Tätigkeit ausübt, die ich sehr schätze. Jody Jensen, eine der Direktoren dieser Einrichtung, legt nun ein Buch als Sammelband vor, das sich mit diesen Themen beschäftigt. Die Herausgeberin kommt aus den USA, war dort akademisch tätig und hat eine entsprechende Kenntnis der Region.

Das wirklich Interessante an diesem Buch ist die Tatsache, dass meist auf ethnografische Gründe am Balkan verwiesen wird und nicht auf andere Faktoren wie etwa das Problem der faschistischen oder kommunistischen Vergangenheit. Es sind auch akute Beiträge dabei, wie zu den Bomben auf Dubrovnik während des Krieges, auch über das für Österreich interessante Vermächtnis von Bleiburg in der Geschichte Kroatiens. Es widerspiegelt auch den Irrgarten, der hier besteht, wie die Auseinandersetzung zeigt, die man in Skopje, der Hauptstadt Nordmazedoniens, erleben kann, wo eine Regierung versucht hat, nationale Identität mit einem grotesken Figurengarten am Hauptplatz und Umgebung zu schaffen. Dass das weiter aktuell bleibt, zeigt jede Art von Veto gegenüber Nordmazedonien von bulgarischer Seite.

Es ist ein Handbuch, das zusammenfasst, welche Fragen zu klären wären, damit Südosteuropa endlich zu europäischen Wegen kommt. Das gilt auch für die wissenschaftliche Betrachtung dieser Region. Es gab einmal das Projekt "Joint History Book", in dem von renommierten Historikern mit europäischen Geldern die Aufarbeitung der Geschichte des 20. Jahrhunderts unternommen wurde. Die Finanzierung ist inzwischen eingestellt, das Projekt wird nicht fortgesetzt. Umso dankeswerter ist es Jensens Versuch, hier am Puls eines wichtigen Teiles von Europa zu bleiben. Man muss nicht nur als Österreicher, sondern auch als Demokrat dafür dankbar sein.

Buchtipp:

Jody Jensen: Memory Politics and Populism in Southeastern Europe

Routledge Verlag 2022