Zum Hauptinhalt springen

Denken und Lenken

Von Nikolaus Lehner

Gastkommentare

Wenn sich zwei streiten, freut sich der Dritte: USA und Russland liegen sich auf Europas Rücken in den Haaren, China kocht seine eigene Suppe.


In einer globalen Welt ist Krieg längst nicht mehr nur die Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln. Krieg ist inzwischen auch die Möglichkeit, Gegner mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen. Soll heißen: Wer taktiert, führt nicht Krieg, sondern lässt Krieg führen. Wer strategisch orchestriert, sorgt hierbei dafür, dass es nur Verlierer im Krieg geben kann. Der eigentliche Gewinner ist der Stratege dieses Orchesters. Das ist wie eine perfekte - wenn nicht gar perfideste - Intrige. Nur dass es im Fall der Ukraine nicht bloß um Joe Biden, Wladimir Putin und Xi Jinping geht, sondern um ganze Völker und Kontinente.

Nüchtern betrachtet stehen einander in Europa (wieder) zwei waffenstarrende Großmächte und zugleich zwei unterschiedliche politische Systeme gegenüber. Die Rivalität resultiert aus Versäumnissen in der Vergangenheit. So wie 1962 die USA keine Atom-Waffen auf Kuba tolerierten, will Russland keine Nato-Truppen an seinen Grenzen. Das war der ungeschriebene Deal nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991. Doch es kam anders. Der EU-Beitritt zahlreicher ehemaliger Ostblockstaaten und die Erweiterung der westlichen Militärallianz haben Russland geschwächt.

Als Nachfolger des untergegangenen Byzanz pflegt Moskau seit jeher Hegemonialansprüche. Hinter den derzeit behaupteten Sicherheitsinteressen stehen der schwindende Einfluss Putins in Kiew und anderswo sowie die Sorge um die eigene Macht. Die Annexion der Krim 2014 und die nunmehrigen Spannungen erinnern - mit anderen Vorzeichen - an die beiden Marokko-Krisen vor dem Ersten Weltkrieg: Da wie dort ging und geht es um eine "Welt von gestern". Nämlich um eine zerrissene Welt, in der - gleich, ob Monarchien, Demokratien oder Diktaturen - kurzfristige Partikularinteressen vorherrschen und es deshalb keinen eindeutigen Sieger geben kann.

China ist clever: Wer heute in einer globalen und komplexen Welt im Ringen um die Vorherrschaft die Oberhand behalten will, tut gut daran, das Große und Ganze durch "Masse und Macht" im Auge zu behalten. Es geht nicht mehr um sichtbares Beherrschen und Besetzen im klassischen Sinn, sondern um unsichtbares Bestimmen, wo es wirtschaftlich und gesellschaftlich langgeht. Ideologien à la Kommunismus und Kapitalismus sind hierbei bestenfalls nützliche Idiotien für eine langfristige Politik. Kalkulierter Pragmatismus und konstruktiver Funktionalismus sind angesagt.

China gibt in der Weltpolitik längst den Ton an

Die viel beschworene "Gelbe Gefahr" anno dazumal ist einer konkreten "Gelben Realität" gewichen (wenn man sie politisch korrekt so nennen darf). Das Produkt einer 5.000-jährigen Zivilisation gibt längst den Ton auf dem Parkett der Weltpolitik an. Daran ändert das durch momentanes Säbelrasseln ausgelöste Getöse über einen möglichen Einmarsch in die Ukraine nichts. Die schlechte Nachricht für Biden und Putin: Im Weißen Haus und im Kreml wird bloß gedacht - im Zhongnanhai wird hingegen gelenkt. Das ist ein Elixier wahrer Macht. Dagegen helfen auf Dauer weder Waffen noch Boykotte oder Embargos. Die gute Nachricht: Dagegen hilft die Binsenweisheit "If you can’t beat them, join them".

Zurück zum Ukraine-Konflikt: Beide Seiten, Ost und West, haben viel zu lange das Sprichwort "Si vis pacem para bellum" gelebt und ausgereizt. Dieser unheilvolle Spruch hat sich zwar nach 1945 bewährt, seit dem Fall des Eisernen Vorhangs ist er aber überholt. Da aber dieser Befund bei Putin und Biden noch nicht angekommen ist, wäre die Ukraine nach dem Vorbild Österreichs gut beraten, sich - solange sie noch kann - für neutral zu erklären. Ja sie könnte den Preis dabei auch noch hochschrauben, indem sie eine "immerwährende Neutralität" in Aussicht stellt, wenn der von Separatisten besetzte Donbass wieder Teil der Ukraine wird.

So viel zum Selbstbestimmungsrecht der Ukraine. Im Übrigen ist Europa vielleicht das "Steißbein Asiens", aber nicht der "Nabel der Welt". Das wird dank anglo-amerikanischer Propaganda hierzulande oft vergessen. Die ist zwar laut und schrill, aber sie kann die Musik nicht übertönen, die von China aus gespielt wird. Oder kosmopolitisch jiddisch gesagt: Um zu wissen, wo der Barthel den Most holt, sollte der Ferne Osten gehört werden.