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Chance auf Schadenersatz von VW höher denn je

Von Claus Goldenstein

Recht
Drei österreichische Gerichte, die jeweils Schadenersatzklagen gegen VW verhandeln, wandten sich an den Europäischen Gerichtshof.
© adobe.stock / weyo

Der EuGH hat die Rechte der Diesel-Kläger einmal mehr gestärkt.


Gute Nachrichten für die Halter manipulierter Autos von VW: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Rechte der betroffenen Konsumenten in der vergangenen Woche einmal mehr gestärkt. Die obersten Zivilrichter der Europäischen Union entschieden nämlich, dass sogenannte Thermofenster nur unter strengen Voraussetzungen legal seien. Das vereinfacht die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen in der Sache enorm.

Thermofenster sind Abschalteinrichtungen, die die Abgasreinigung von Diesel-Fahrzeugen bei bestimmten Temperaturen massiv herunterfahren. Allein in Österreich wurden mehr als 400.000 Autos mit solchen Thermofenstern zugelassen.

VW-Software-Update betroffen

Besonders brisant: Auch das VW-Software-Update enthält eine temperaturgesteuerte Abschalteinrichtung. Dabei wurde dieses Update nach dem Bekanntwerden des VW-Abgasskandals eigentlich konzipiert, um die Abgasreinigung nachweislich manipulierter Fahrzeuge mit dem Diesel-Motor EA189 zu normalisieren. Betroffene Fahrzeughalter wurden im Rahmen einer Rückrufaktion sogar dazu verpflichtet, das Update installieren zu lassen. Ansonsten hätten ihre Autos stillgelegt werden müssen.

Mehrere unabhängige Gutachten ergaben jedoch, dass auch die upgedateten VW-Fahrzeuge die vorgeschriebenen Schadstoff-Grenzwerte nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad einhalten. Außerhalb dieses Temperaturfensters stoßen die betroffenen Diesel-Autos teilweise mehr Stickoxide aus als vor dem Update.

Volkswagen argumentierte bis zuletzt, dass die Verwendung des Thermofensters in dem Update zum Schutz des Motors nötig sei. Tatsächlich erlaubt die EU den Einsatz von Abschalteinrichtungen, wenn diese vor unmittelbaren Schäden und vor Unfallgefahr schützen. Drei österreichische Gerichte, die jeweils Schadenersatzklagen gegen VW verhandeln, wollten daher vom EuGH wissen, ob diese EU-Regelung auch für Thermofenster gilt.

Die obersten Zivilrichter Europas entschieden nun, dass Thermofenster nur erlaubt sind, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, um das jeweilige Fahrzeug zu schützen. Darüber hinaus dürfen Thermofenster ausschließlich in absoluten Ausnahmefällen zum Einsatz kommen. Das bedeutet, dass die Abgasreinigung sämtliche Fahrzeuge in der EU immer korrekt funktionieren muss. Lediglich in Extremsituationen - zum Beispiel bei Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt - dürfen Thermofenster verwendet werden.

Urteil gilt für alle EU-Gerichte

In Bezug auf das VW-Software-Update gaben die EuGH-Richter diesbezüglich klar zu bedenken, dass die Durchschnittstemperatur in Österreich in den meisten Monaten unterhalb von 15 Grad liegt. Wenn eine Abschalteinrichtung bereits bei solchen Temperaturen die Abgasreinigung reduziert, stoßen die betroffenen Fahrzeuge quasi ganzjährig unerlaubt viele Schadstoffe aus.

Die zuständigen Gerichte müssen ihre Verfahren nun fortsetzen und entscheiden, ob das VW-Software-Update ihrer Meinung nach eine illegale Abschalteinrichtung enthält. Nach dem eindeutigen EuGH-Urteil wird es diesbezüglich wohl keine zwei Meinungen geben. Die Entscheidung der Luxemburger Richter ist aber auch für andere Gerichte in Österreich und der gesamten Europäischen Union bindend.

Tatsächlich hat das aktuelle Urteil mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar noch weitreichendere Folgen: Sämtliche Typengenehmigungen von Fahrzeugen mit eingebauten Thermofenstern müssen nun anhand des Maßstabes des EuGH-Urteils überprüft werden. Vor allem das deutsche Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) wird in der kommenden Zeit noch einmal einige Typengenehmigungen überprüfen müssen.

Die deutsche Behörde hat in den vergangenen Jahren das VW-Software-Update und auch Thermofenster von Herstellern wie Mercedes-Benz oder BMW genehmigt. Dennoch gab das KBA in einer ersten Stellungnahme zum aktuellen EuGH-Urteil an, man habe die Maßgaben des Europäischen Gerichtshofs bereits in der Vergangenheit berücksichtigt. Angesichts des eindeutigen EuGH-Urteils ist diese Aussage allerdings mehr als fragwürdig.

Die Deutsche Umwelthilfe geht bereits juristisch gegen entsprechende Genehmigungen des KBA vor, und es ist zu erwarten, dass die zuständigen Gerichte in Deutschland die Behörde mittelfristig zur Überprüfung ihrer Fahrzeugzulassungen und schließlich zu Maßnahmen zur Beseitigung der Thermofenster verpflichten werden. Europaweit könnten in der Folge mehr als acht Millionen Autos von Rückrufen betroffen sein.

Sollten die verantwortlichen Hersteller die Abgasreinigung der manipulierten Fahrzeuge nicht normalisieren können, droht all diesen Autos im schlimmsten Fall die Stilllegung. Betroffene Pkw-Besitzer sollten die Lage nicht zuletzt aus diesem Grund sehr aufmerksam beobachten und rechtliche Ansprüche in der Sache prüfen.

Weiteres EuGH-Urteil erwartet

Wären die Fahrzeug-Manipulationen zum Kaufzeitpunkt bereits öffentlich bekannt gewesen, hätten betroffene Konsumenten ihre Autos schließlich gar nicht oder zumindest nicht zu denselben Konditionen gekauft. Deshalb haben die Besitzer illegal manipulierter Diesel-Autos Anspruch auf eine finanzielle Entschädigung.

Diesbezüglich werden die EuGH-Richter noch in diesem Jahr ein weiteres Urteil verkünden und aller Voraussicht nach bestätigen, dass Schadenersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Abgasskandal selbst bei fahrlässig schuldhaftem Verhalten der Autobauer bestehen. Diese Grundsatzentscheidung wird vermutlich noch größere Wellen schlagen als das aktuelle Urteil. Die Erfolgschancen sämtlicher Schadenersatzklagen im Zusammenhang mit dem Abgasskandal stehen aufgrund der aktuellen Entwicklungen so gut wie nie zuvor.

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