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Der "Übergewinnler" als Sündenbock

Von Marcell Göttert

Gastkommentare
Marcell Göttert ist Ökonom bei der Agenda Austria und dort zuständig für öffentliche Finanzen.
© Elke Mayr

Wollen wir wirklich die Politik entscheiden lassen, wie viel Profit moralisch in Ordnung ist?


Ganz Österreich leidet unter den enormen Lasten der Inflation. Vor allem die Kosten für Energie schnellen in die Höhe. Egal ob Benzin, Gas oder Holzpellets: Die Preise sind in kurzer Zeit sprunghaft angestiegen. Weniger stark, aber genauso schmerzhaft ist die Teuerung bei anderen Waren. Mehr als ein Viertel der Produkte des täglichen Bedarfs ist im Jahresvergleich um mehr als 10 Prozent teurer geworden. An dauerhafte Inflationsraten in dieser Größenordnung können sich nur ältere Menschen erinnern. Für die meisten Österreicher ist das eine ganz neue Erfahrung.

Für diese Situation würde man natürlich gerne jemanden zur Verantwortung ziehen. Die EZB, Corona und der Ukraine-Krieg haben zweifellos den größten Anteil an der misslichen Lage. Aber noch besser ist ein Sündenbock, den man persönlich adressieren kann. Jetzt scheint er gefunden: der "Übergewinnler". Gemeint sind damit Unternehmen, die mit der Krise ein besonders gutes Geschäft machen, Energiekonzerne zum Beispiel. Während die Bevölkerung unter den hohen Rechnungen ächzt, erwirtschaften manche Gas- und Stromanbieter Rekordergebnisse. Das sei ein "Übergewinn", heißt es - und damit ein klarer Fall für die Moralpolizei. Solche Gewinne gehörten abgeschöpft, fordern viele. Die Milliarden sollten den geschröpften Bürgern umgehend zurückgegeben werden.

Doch wie so oft steckt der Teufel im Detail. Das System der Marktwirtschaft lebt wesentlich davon, dass Unternehmer einen möglichst großen Profit anstreben. Auf welcher Grundlage soll festgelegt werden, welche Gewinne noch in Ordnung sind und welche nicht mehr? Werden wir bald neben einer staatlichen Preiskommission auch eine Gewinnkommission haben, die moralisch gerade noch vertretbare Gewinnhöhen festlegt? Vermutlich wird es dann auch nicht lange dauern, bis parallel dazu ein Ausgleich für "Überverluste" gefordert wird. Wo sehr hohe Verluste erwirtschaftet werden, geht es ja vielleicht auch nicht mit rechten Dingen zu. Unternehmerisches Risiko und unternehmerischer Erfolg würden dann vollends vom Staat bestimmt.

Durch die hohe Inflation wird Österreich ärmer. Das ist eine Tatsache, gegen die der Staat nichts ausrichten kann. Er kann nur beeinflussen, wie diese Last verteilt wird. Wenn Unternehmen mehr schultern sollen, können die Steuern auf Kapital erhöht und die Lohnsteuer für Arbeitnehmer gesenkt werden. Will man die Ärmsten unterstützen, ist Sozialhilfe der richtige Weg. Hält die Politik die Energiekosten für zu hoch, kann der Staat auf höhere Dividenden drängen, die zur Unterstützung der Bedürftigen eingesetzt werden. Gibt es den Verdacht, dass manche Konzerne ihre Marktmacht missbrauchen und damit den Konsumenten schädigen, ist das ein Fall für die Bundeswettbewerbsbehörde.

Es gibt also bereits Instrumente, um bei Fehlentwicklungen einzugreifen. Eine moralisch begründete Steuer auf "Übergewinne" ist der falsche Weg. Wir sollten nicht einzelne Unternehmen zu Sündenböcken machen.