Zum Hauptinhalt springen

Zum Abschied auch ein lautes Servus

Von Otmar Lahodynsky

Gastkommentare
Otmar Lahodynsky ist Ehrenpräsident der Association of European Journalists (AEJ), die er von 2014 bis 2021 leitete. Er war Redakteur beim Nachrichtenmagazin "profil".
© privat

Österreich schuldet Michail Gorbatschow Dank. Er hat den EU-Beitritt ermöglicht.


Wenn Michail Gorbatschow heute in Moskau beigesetzt wird, sollte man sich auch in Österreich an seine Leistungen und Weichenstellungen erinnern. Dabei geht es zuerst um seinen Beitrag zur Beendigung der Teilung Europas, der Österreich aus einer Randlage zurück nach Mitteleuropa brachte. Der Eiserne Vorhang wäre ohne Gorbatschow nie abgerissen worden. Kaum ein anderes Land hat von der späteren Osterweiterung der EU so profitiert wie Österreich. Viele Unternehmer nutzten die neuen Chancen auf den Märkten in den Nachbarländern.

Gorbatschow gab aber auch grünes Licht für Österreichs Beitritt zur Europäischen Union. Bundeskanzler Franz Vranitzky fuhr 1988 nach Moskau, um allfällige Widerstände zu überwinden. Der damalige Ministerpräsident Nikolai Ryschkow sagte Njet und verwies auf die Neutralität Österreichs, die er fälschlicherweise im Staatsvertrag verankert sah. Ein einstündiges Gespräch mit Gorbatschow verlief weit entspannter. Der Kreml-Chef sah den Beitrittswunsch zur damaligen EG als innere Angelegenheit Österreichs. Und er zeigte beim Abschied auch Sinn für Humor: "Kennen Sie Margret Thatcher?", fragte er den verdutzten Bundeskanzler gleich dreimal. Um dann eine weitere Frage nachzuschieben: "Und trotzdem wollen Sie der EG beitreten?" Dabei zeigte sich die "Eiserne Lady" von Gorbatschow tief beeindruckt.

Auch die deutsche Wiedervereinigung wäre ohne den Reformer im Kreml und dessen Freundschaft mit dem damaligen deutschen Kanzler Helmut Kohl nicht möglich gewesen. In einem Interview mit mir im Jahr 2001 plädierte Gorbatschow für eine "neue Weltordnung". Er warb für eine neue europäische und internationale Sicherheitsarchitektur, bei der Russland "keine zweitrangige Rolle" zugewiesen werden dürfe. Im Westen hätten viele nach dem Ende der UdSSR "im Trüben gefischt", was die notwendige "gemeinsame Sicherheit" erschwert habe, klagte er.

Der autoritäre Kurs Wladimir Putins, der Russland schrittweise in eine Diktatur umwandelte, missfiel Gorbatschow. Er kritisierte Putin aber selten direkt, etwa wenn er ihm "Selbstüberschätzung" vorwarf. Im berührenden Dokumentarfilm "Gorbatschow-Paradies" von Vitaly Mansky wich er geschickt allen Fragen zu Putin aus. Und er sang beim Rasieren ein ukrainisches Lied, das ihm seine Mutter beigebracht hatte. Zwar fand Gorbatschow für die Annexion der Krim 2014 auch verständnisvolle Worte, aber der völkerrechtswidrige Krieg Putins muss den Friedensnobelpreisträger geschockt haben. Die von Gorbatschow mitbegründete Kreml-kritische Zeitung "Nowaja Gaseta" stellte bald ihr Erscheinen ein. Für direkte Kritik am völkerrechtswidrigen Überfall auf die Ukraine fand Gorbatschow nicht mehr die Kraft.

Zu seinem heute angesetzten Begräbnis werden nur wenige internationale Politiker anreisen. Putin erklärte, "aus Termingründen" nicht an der Trauerfeier teilnehmen zu können. Die Welt hat mit Gorbatschow einen großen Staatsmann mit Weitblick und Tatkraft verloren. Einen Politiker, der Russland und seine Bevölkerung für die Welt und demokratische Werte öffnete, während Putin sie weiter in Isolation und Diktatur führt.