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Italien muss den Reformkurs beibehalten

Von Christophe Grosset

Gastkommentare
Christophe Grosset ist European Sales Director bei der multilateralen Handelsplattform Spectrum Markets.
© Thorsten Jansen

Die bisherige Regierung hat viel gegen die Krise getan.


Italien gehört zu den EU-Ländern, die von Klimawandel und Corona besonders betroffen waren und sind. Die aktuelle Regierung hat dem Sturm aber getrotzt und ein 190 Milliarden Euro schweres Konjunkturprogramm innerhalb eines europäischen Finanzierungsrahmens auf die Beine gestellt. Auch bei der Bekämpfung der Folgen des Ukraine-Krieges hat sie sich pragmatisch und fortschrittlich gezeigt. Dennoch ist die Koalition der nationalen Einheit am 21. Juli zerbrochen.

Man kann ihr kaum vorwerfen, keine Fortschritte gemacht zu haben. Im zweiten Quartal ist Italiens Wirtschaft im Jahresvergleich um 4,6 Prozent gewachsen - das stärkste Wachstum unter den G7-Ländern - und die Arbeitslosenquote auf ein Zehnjahrestief (8,6 Prozent) gesunken.

Italien hat im Frühjahr rasch gehandelt, um den steigenden Energiepreisen entgegenzuwirken, die Belastung der Unternehmen zu verringern und die Kaufkraft zu stärken: mit einer Senkung der Mineralölsteuer, subventionierten Stromrechnungen und Steuergutschriften für energieintensive Unternehmen. Welche Richtung wird nun die neue Regierung einschlagen? Zwar gab es in jüngster Zeit erhebliche Fortschritte auf dem Weg zu mehr Wohlstand, die starke Abhängigkeit Italiens von Erdgasimporten verschärft jedoch das Problem der steigenden Energiepreise. Ein weiterer kritischer Faktor sind die Löhne, die laut OECD in Deutschland und Frankreich seit 1990 real um ein Drittel gestiegen sind, in Italien aber stagnierten. Damit treffen Inflation und Energieknappheit Europas drittgrößte Volkswirtschaft noch stärker. Italiens BIP wuchs zwischen 1999 und 2019 nur um 7,9 Prozent - in Frankreich waren es mehr als 32 Prozent, in Spanien sogar fast 44 Prozent. Und die Auszahlung der Mittel aus dem "NextGenerationEU"-Wiederaufbaufonds ist an Bedingungen geknüpft wie ein neues Wettbewerbsgesetz, eine Steuerreform und eine Überarbeitung des Rechtssystems, um die im EU-Vergleich sehr langsamen Gerichtsverfahren zu beschleunigen.

Was die Marktkapitalisierung im Verhältnis zum BIP betrifft, so hat Italien laut OECD mit einem Anteil von 31 Prozent schlechter abgeschnitten als die anderen großen Volkswirtschaften der EU. Größe und Reife des Kapitalmarktes korrelieren jeweils mit dem nationalen Rentensystem. Interessanterweise gibt es, obwohl (oder vielleicht gerade weil) die Rentensysteme weitgehend unverändert geblieben sind, eine weitere Bewegung auf dem italienischen Kapitalmarkt. Laut der Nationalen Kommission für Unternehmen und die Börse (Consob) hat sich der Anteil der Finanzanlagen italienischer Haushalte in den vergangenen zehn Jahren zwar insgesamt nicht erhöht, doch ein stetiger Rückgang bei Anleihen wurde durch einen Anstieg bei Investmentfonds, ausländischen Aktien und Derivaten ausgeglichen, was als starkes Signal für eine progressive Entwicklung gewertet werden kann.

Viele Fiskalmaßnahmen können die Kapitalmarktaktivität fördern, und Italien hat hier mehr getan als viele andere Länder Europas. 2017 wurden individuelle Sparpläne für Investoren eingeführt, um Anreize für Investitionen in KMU zu schaffen, indem diese für mindestens fünf Jahre von Kapitalertrags- und Erbschaftssteuer befreit sind. Das ist sicher ausbaufähig und könnte von anderen Ländern übernommen werden.