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Echte Klimagerechtigkeit

Von Elisa de Siqueira

Gastkommentare
Elisa de Siqueira ist politische Referentin bei Ärzte ohne Grenzen Deutschland und Expertin für das Thema Klimakrise im humanitären Kontext.
© Ärzte ohne Grenzen / Barbara Sigge

Die Klimakrise ist eine Bedrohung für die menschliche Gesundheit. Und sie trifft besonders Schutzlose.


Noch vor ein paar Monaten haben wir aus Nigeria, Niger und Tschad über die schwersten Dürren seit Jahren berichtet. Mittlerweile ist die Situation ins andere Extrem umgeschlagen: Genau diese Länder sind nun von starken Überschwemmungen betroffen. Für die Menschen gibt es kaum eine Verschnaufpause zwischen einer Krise und der nächsten. Die meisten Hotspots der Klimakrise sind die Länder, in denen wir tätig sind. Viele davon sind in Afrika, wo auch die diesjährige Weltklimakonferenz stattfindet. In unseren Projekten sehen wir Menschen, die die gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise am eigenen Leib erfahren.

Die Klimakrise ist eine Bedrohung für die menschliche Gesundheit. Aber nicht alle sind gleich betroffen. Wie so oft tragen jene, die mit ihrem Verhalten am wenigsten zur Klimakrise beitragen, die größte Last der Konsequenzen. Sie bezahlen mit ihrer Gesundheit und teils auch mit ihrem Leben. Es ist unsere Pflicht, auch auf dieser Weltklimakonferenz Zeugnis darüber abzulegen, was wir in unseren Projekten sehen. Wir setzen uns gegenüber den Entscheidungstragenden für eine stärkere Unterstützung für Menschen in Not ein.

Der Unterschied zwischen 1,5 und 2 oder gar 2,7 Grad Erderwärmung bis 2030, wie es voriges Jahr vom UN-Umweltprogramm prognostiziert wurde, ist für viele Menschen auf der Welt lebensbedrohlich. Trockenheit heißt Mangelernährung: Im Jahr 2020 waren durch Hitzewellen mehr als 98 Millionen Menschen von mittelschwerer bis schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen. Verlängerte Dürreperioden, wie heuer in der Sahel-Region, haben zur Folge, dass es weder ausreichend Trinkwasser für Menschen und Tiere gibt noch ausreichende Bewässerung für die Felder, sodass der Boden austrocknet und die Ernten geringer ausfallen. Die Lebensmittelvorräte sind dann früh im Jahr aufgebraucht, was zu Mangelernährung führen kann.

Wärmeres Wetter bedeutet Moskitos und Krankheiten: Aufgrund von wechselnden Niederschlägen und einem Temperaturanstieg verlängert sich etwa die Malaria-Infektionsperiode, wie in Mosambik - heute besteht in einigen Teilen des Landes das ganze Jahr über Infektionsgefahr und nicht mehr nur in der Regenzeit. Tropische Wirbelstürme können häufiger und stärker werden, wie es in Madagaskar am Anfang des Jahres mit zwei aufeinander folgenden Zyklonen der Fall war. Krankenhäuser wurden zerstört und viele Patientinnen und Patienten hatten zeitweise keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung.

Der Verlust der Lebensgrundlage zwingt Menschen zur Flucht, wie im Süden Somalias, wo viele aufgrund der Dürre und des langanhaltenden Konflikts ihr Zuhause verlassen mussten. Insbesondere für Menschen in Armut und Konfliktkontexten, ohne sozialen Schutz oder ohne Zugang zu grundlegender Gesundheitsversorgung - sprich: für unsere Patientinnen und Patienten - kann hier ein lebensentscheidender Unterschied gemacht werden. Jeder Bruchteil der abgewendeten Erwärmung reduziert Tod und Leid in den humanitären Kontexten, in denen wir arbeiten.

Der Schaden ist da, jetzt muss gehandelt werden

Der Klimaschutz, also die Minderung von Treibhausgasemissionen, hätte schon längst angegangen werden müssen. Die Schäden und Verluste, die daraus resultieren, sind mancherorts nicht mehr rückgängig zu machen. Hier sind die Konsequenzen bereits Realität: Viele Menschenleben, (Gesundheits-)Infrastrukturen, Häuser, Schulen, Ackerland, kulturelle und spirituelle Orte wurden zerstört. Dort geht es nicht mehr nur darum, den Klimawandel aufzuhalten. Wo wir können, müssen wir die Konsequenzen für die Menschen und ihre Gesundheit abmildern. Insbesondere über einfache Anpassungsmaßnahmen, wie etwa den Bau eines Damms oder die Säuberung von Wasserquellen.

Wenn es dafür aber zu spät ist, muss für den Wiederaufbau nach der Zerstörung aufgekommen werden. Hier sind hauptsächlich jene Länder in der Verantwortung, die am meisten zur Klimakrise beitragen, etwa die G7-Staaten. Die humanitären Bedürfnisse werden über das hinauswachsen, was Ärzte ohne Grenzen und andere humanitäre Akteure bewältigen können. Es braucht einen ehrgeizigen Klimaschutz, nachhaltige Anpassungsmaßnahmen und eine konkrete und umfassende Unterstützung für den Umgang mit Schäden und Verlusten. Wir fordern von den politischen Vertreterinnen und Vertretern auf der Weltklimakonferenz, die in Sharm-El-Sheikh Entscheidungen treffen, die die Gesundheit von Millionen von Menschen beeinflussen werden:

ausreichende finanzielle und technische Unterstützung, um Schäden und Verluste anzugehen, vor allem für diejenigen Länder und Menschen, die am stärksten betroffen sind - dabei dürfen keine Gelder der humanitären Hilfe verwendet werden;

ambitioniertere und verpflichtende Zusagen von Staaten, Unternehmen und Sektoren, die für historische, aktuelle und zukünftige Emissionen hauptverantwortlich sind, um die globale Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten.

Die Klimakrise darf nicht zu einer noch größeren humanitären Krise werden. Wir brauchen jetzt echte Klimagerechtigkeit.