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Asylpolitik zwischen Können und Wollen

Von Judith Kohlenberger

Gastkommentare
Judith Kohlenberger ist Autorin und Migrationsforscherin an der WU Wien. Ihr neues Buch "Das Fluchtparadox" erscheint am 22. August bei Kremayr & Scheriau. 
© K&S / Elodie Grethen

All jene, denen man Interesse an einer tatsächlichen Lösung unterstellen kann, sind sich in den zentralen Punkten einig.


Die Causa Prima der österreichischen Innenpolitik ist wieder da. Eifrig wurde die nächste Asylkrise herbeigeredet, in eine Versorgungskrise ist man sehenden Auges und mit reichlich Anlauf hineingeraten, kommt nun aber - trotz zuletzt sinkender Asylantragszahlen - nicht mehr so rasch heraus. Auf den Plan gerufen wurden nicht nur "besorgte Bürger", die gegen Zelte demonstrierten, sondern zuletzt auch ein Aufmarsch vermummter Anhänger der Gruppe "Die Österreicher", einer Nachfolge-Organisation der Identitären. Gut, dass da der Innenminister einmahnt, keinen Nährboden für Hass und Gewalt zu dulden; noch besser, wenn er diesen proaktiv trockenlegen würde. Etwa, indem das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen so rasch wie möglich entlastet und machbare 4.000 Quartiere in den Bundesländern geschaffen würden.

Neben Krise und Krisensprech wird also auch wieder eifrig in die viel diskutierte Spaltung des Landes eingezahlt. Durch teils inszenierten, teils veritablen Kontrollverlust, durch fehlende politische Konzepte und föderales Hickhack, durch Wahlkämpfe in den Bundesländern, die den handelnden Akteuren wichtiger scheinen als die menschenwürdige Unterbringung Schutzsuchender. Vor allem aber durch die Instrumentalisierung des Themas und eines einander Unterbietens nach unten, wer denn nun den restriktivsten Asylkurs fahre - Hauptsache harte Kante zeigen. In diesem Punkt zumindest erinnert die aktuelle Debatte frappant an das Rekordjahr 2015.

Wie man es schafft . . .

Blickt man aber hinter die politstrategische Maschinerie, dann scheinen sich all jene, denen man Interesse an einer tatsächlichen Lösung unterstellen kann, in den zentralen Punkten einig. Was es jetzt bräuchte, sowohl national als auch auf europäischer Ebene:

Legale Fluchtmöglichkeiten nach Europa, um geordnete humanitäre Aufnahme zu ermöglichen, damit sich Menschen gar nicht erst irregulär auf den Weg machen. Dazu zählen Resettlement-Programme, also legale Umsiedlung besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge. Die deutsche Fachkommission für Fluchtfolgenforschung schlägt eine jährliche Quote von 0,05 Prozent der Bevölkerung in den EU-Mitgliedstaaten vor, das wären für Österreich etwa 4.500 Personen. Im türkis-grünen Regierungsprogramm sind null Plätze vorgesehen.

Diversifizierung der legalen Migrationswege nach Europa, etwa durch zirkuläre Migration und Visa auf Zeit, um die Asylschiene zu entlasten und auf den steigenden Arbeitskräftebedarf zu antworten. Derzeit kommen nämlich viele Menschen ins österreichische Asylsystem, die weder dorthin gehören noch dorthin wollen - und selten dort verbleiben, sondern innerhalb von Tagen weiterreisen, um Arbeit in West- und Südeuropa zu finden.

Ein funktionierender EU-Außengrenzschutz, der den Grund- und Menschenrechten verpflichtet bleibt und geltendes EU-Recht umsetzt. Verstöße dagegen müssen ausnahmslos sanktioniert werden, um eine Spirale nach unten zu verhindern. Die sorgt nämlich indirekt für mehr irreguläre Ankünfte, sind doch unter den jetzt ankommenden Syrern und Afghanen viele, die bereits anderswo in Europa aufhältig waren, teils mit Asylstatus. Mit Ende der Corona-bedingten Reisebeschränkungen brechen viele von ihnen nach Westen auf, etwa aus Griechenland, wo ihnen zuletzt im offenen Bruch mit den EU-Aufnahmerichtlinie Wohnraum und Lebensmittelversorgung gestrichen wurden. Bleibt die EU angesichts dokumentierter Grundrechtsverletzungen gegen Flüchtlinge untätig, rächt sich das also unmittelbar.

Ein gemeinsames europäisches Asylsystem nach klaren Qualitätsstandards bleibt vorerst wohl ein hehrer Wunsch. Doch noch bevor es Realität wird, wäre die effektive und zeitnahe Verteilung von Geflüchteten aus den Mitgliedstaaten mit Außengrenzen auf willige Binnenländer wichtig, um zu zeigen, dass solidarische Unterstützung innerhalb der EU funktionieren kann. Damit käme man auch der unkontrollierten Weiterreise Schutzsuchender zuvor. Gleichzeitig muss unsolidarisches Verhalten, etwa durch völkerrechtswidrige Pushbacks nach Osten und ein Weiterwinken nach Westen, wie es Ungarn praktiziert, sanktioniert werden.

Ernst gemeinte Entwicklungszusammenarbeit mit Herkunftsländern, darunter Klimafolgenbekämpfung und adaptives Ressourcenmanagement. Unfruchtbar gewordener Ackerboden, leer gefischte Meere, Naturkatastrophen und steigende Meeresspiegel sorgen bereits für (Binnen-)Migrationsbewegungen und kriegerische Auseinandersetzung um rarer werdende Ressourcen, was wiederum Flucht auslösen kann.

. . . wenn man es will

Vor all dem stehen jedoch der politische Wille und eine Willensbildung fernab populistischer Stehsätze. Beides ist man geneigt, so manchem europäischen Entscheidungsträger abzusprechen. Wissen diese doch nicht erst seit 2015 sehr genau, dass mit der ungelösten "Flüchtlingsfrage" trefflich Stimmung zu machen und Wahlen zu gewinnen sind. Strukturierte und kontrollierte Formen der Flucht- und Arbeitsmigration nach Europa würden das Bedrohungsgefühl der hiesigen aufnehmenden Bevölkerung ernst nehmen, statt sie weiter anzufachen, und ihnen Ordnung und Humanität statt Chaos und Kontrollverlust entgegensetzen. Es geht auch ohne hässliche Bilder - so man es will.