Zum Hauptinhalt springen

Freihandel? Ja, aber . . .

Von Jan Kluge

Gastkommentare
Jan Kluge ist Ökonom bei der Agenda Austria. Er forscht in den Bereichen Wirtschaftsstandort und Digitalisierung.
© Hannah Schierholz

Die Österreicher scheinen ein gespaltenes Verhältnis zu diesem Thema zu haben, zeigt eine Befragung im Auftrag der EU-Kommission.


Jeder von uns, der einmal ein Teenager war, dürfte es gehabt haben: ein selbstgebasteltes Stimmungsbarometer an der Zimmertür zur Regelung des elterlichen Zutritts. Bei guter Laune steht der Zeiger auf sonnig: Eintreten erlaubt. Bei Liebeskummer oder allgemeinem Weltschmerz sinkt das Barometer auf Blitz und Donner: Eintritt nur unter Lebensgefahr! Ach, noch einmal jung sein . . .

Doch gute Nachrichten: Die Europäische Union interessiert sich auch für die Stimmungslage ihrer erwachsenen Bürger. Die sogenannte Eurobarometer-Befragung erhebt mehrmals im Jahr die öffentliche Meinung der Bevölkerung zu aktuellen und grundsätzlichen Themen. Dabei kommt so manches Verwunderliches zutage: Zum Beispiel hat fast ein Viertel der Österreicher beim Thema Freihandel überwiegend negative Gefühle. Nur die Franzosen sind hier noch skeptischer. Nach der Einstellung zum Konzept des Protektionismus befragt, ist sogar jeder Zweite dafür.

Wie passen diese Zahlen zusammen? Vermutlich lassen sich die Österreicher grob in vier Viertel aufteilen: Zwei Viertel finden Freihandel nicht verkehrt und lehnen Protektionismus ab. Sie scheinen verstanden zu haben, worauf ihr Wohlstand basiert. Eine Wifo-Studie fand im Jahr 2019 heraus, dass die österreichische Wirtschaft durch den EU-Beitritt stärker gewachsen ist, als es andernfalls der Fall gewesen wäre.

Ein weiteres Viertel findet Freihandel schlecht und befürwortet daher Protektionismus. Hier wird Überzeugungsarbeit schwierig. Selbst wenn man das Argument ins Feld führen würde, dass der historische Rückgang der Armut in der Welt nicht etwa dem bisschen Entwicklungshilfe geschuldet ist, das wir jahrzehntelang gönnerhaft in den globalen Süden geschickt haben, sondern dem Zugang dieser Länder zu Kapital- und Gütermärkten. Ist durch Freihandel dort nun alles super? Nein; es stellen sich soziale und ökologische Fragen. Aber so ganz lassen sich die Vorzüge des Freihandels eben nicht vom Tisch wischen.

Und dann ist da noch das interessanteste Viertel jener Österreicher, die Freihandel nicht schlecht finden, gleichzeitig aber Protektionismus wünschen. Ein solches Stimmungsbild lässt eigentlich nur eine Interpretation zu: Freihandel ist gut, solange wir selbst davon profitieren. Aber wenn er zu anstrengend wird, soll er bitte eingeschränkt werden. Wenn uns unser Wohlstand entgleitet, weil Menschen in aller Welt hart arbeiten und dabei Produkte erzeugen, die wir begehren, wir aber selbst lieber nur an vier Tagen pro Woche und möglichst im Pyjama arbeiten wollen, dann muss dem Treiben eben Einhalt geboten werden.

Das Phänomen findet sich europaweit. Die meisten sind durchaus für Freihandel, aber unter ihnen sind viele zugleich auch für Protektionismus. Das alte Europa verkennt die Zeichen der Zeit und fühlt sich wie ein bockiger Teenager von der Welt unfair behandelt, obwohl er Länge mal Breite von Freihandel profitiert. Eine bedrohliche Diagnose.