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Es geht nicht nur um diese eine Zeitung

Von Doron Rabinovici

Warum die "Wiener Zeitung" nicht verschwinden darf.


Es geht nicht nur um eine Zeitung. Manche behaupten, es gäbe noch kein Konzept für die "Wiener Zeitung". Was für ein Irrtum. Das Gegenteil ist der Fall. Die Regierung hegt durchaus einen Plan für die Redaktion, der darin besteht, so zu tun, als wolle sie die "Wiener Zeitung" dadurch retten, indem sie das Blatt einfach liquidiert. Aber die türkisgrüne Koalition will sich nicht damit begnügen, die Papierausgabe nur abzuschaffen, um sie im Schall und Rauch des Virtuellen aufzulösen. Vielmehr möchte sie das, was von der "Wiener Zeitung" übrig bleibt, dazu verdammen, zur reinen Lehrredaktion am Gängelband des Kanzleramts zu verkommen. Ist das nicht praktisch?

Wir erleben, wie Journalismus zum Fake News und News Fake im wahrsten Sinne des Wortes werden soll. Es sieht aus, als zöge die Ministerin aus der Anzeigenkorruption die Lektion, das Organ der Republik kurzerhand zu einem fortlaufenden Regierungsinserat zu machen? Die "Wiener Zeitung" als Simulation ihrer selbst.

Es geht nicht nur um eine Zeitung. Die Einstellung der "Wiener Zeitung" spiegelt die Einstellung der Koalition zur Meinungsvielfalt wider. Die Regierung behauptet gerne, gegen die Hetze und die Lügen in den Sozialen Medien vorgehen zu wollen, aber mobil macht sie gegen einen Prototyp der freien Qualitätspresse und gegen die Öffentlich-Rechtlichen.

Es geht nicht nur um diese eine Zeitung. Das Zeitungssterben wird in allen Sonntagsreden beklagt. Wer weiß nicht von den Lügen, nicht von den Verschwörungsmythen auf Twitter, Telegram und Facebook. Überall wird gegen Qualitätsmedien gehetzt, werden die Verdrehungen der Tatsachen zum besonderen Dreh autoritär rassistischer Populisten. Fakten sollen gänzlich austauschbar werden, denn diese Art von Politik will nichts sein außer ihr bloßer Schein. Die Wirklichkeit soll durch schiere Wirkung ersetzt werden, weswegen es stört, wenn ein Medium das schwarz auf weiß feststellen kann - so wie die "Wiener Zeitung".

Meinungsvielfalt und Niveau

Es geht nicht nur um eine Zeitung. Die redaktionellen Medien stecken überall in der Krise. Die Demokratie und der Rechtsstaat stehen unter Attacke - ob in Ungarn, in Polen, in Italien, in Israel, in Brasilien, in den USA oder auch in Österreich. Der Tyrann in Moskau unterdrückt nicht nur sein Volk, sondern will eine andere Nation auslöschen, führt Krieg gegen das in Frieden vereinte Europa und unterstützt in allen Ländern des Kontinents jene Kräfte - wie etwa die Freiheitlichen, die den Hass schüren auf das Menschenrecht. Was da geschieht, berührt nicht bloß die Abonnenten der "Wiener Zeitung", sondern alle, die auf Meinungsvielfalt und Niveau Wert legen. Was wird noch Standard sein und was das eigene Profil, wenn bald nichts mehr gilt außer Quoten und Klicks?

Es geht nicht nur um irgendeine Zeitung. Es geht um eine Stimme der Republik. Ein privater Zeitungsmacher mag sein Unternehmen abstellen oder führen, wie er eben will. Wenn im Boulevard gelogen wird wie gedruckt, lässt sich dagegen wenig ausrichten. Der freie Pressemarkt ist auch wichtig, um unabhängig von staatlicher Obrigkeit publizieren zu können, doch zugleich braucht es jene Medien, die eben nicht im Besitz des einen oder anderen Konzern sind, sondern in einer wehrhaften Demokratie einen öffentlichen Auftrag zu erfüllen haben - wie etwa die "Wiener Zeitung", Ö1 oder FM4. Kein Wunder, wenn jene Kräfte, die gegen das parlamentarische System aufziehen, zunächst die öffentlich-rechtlichen Medien zerstören wollen.

Ja, die "Wiener Zeitung" braucht ein neues Konzept, weil die Pflichtveröffentlichungen im Amtsblatt abgeschafft wurden. Die "Wiener Zeitung" ist nicht nur irgendeine Zeitung. Sie ist das älteste Blatt der Welt. Sie ist ein Kulturerbe. Einst dümpelten die großen Wiener Kaffeehäuser dahin und viele wollten kaum noch einen Nutzen und Wert in ihnen sehen. Sie sollten eingehen, meinten nicht wenige. Heute sind sie Sehenswürdigkeiten für Unzählige, die aus allen Ländern nach Wien kommen.

Die "Wiener Zeitung" zu erhalten, ist ein Vermächtnis und eine Zukunftschance. Mit ihr kann die Republik neue Modelle für eine freie Presse entwickeln. Deshalb darf die "Wiener Zeitung" nicht verschwinden. Denn es geht nicht nur um irgendeine Zeitung.•

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