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Von Jerusalem nach St. Pölten

Von Christian Ortner

Gastkommentare

Solange das Bedürfnis nach Sicherheit nicht hinreichend befriedigt wird, werden Wahlen so ausgehen, wie sie ausgehen.


Auf den ersten Blick haben die beiden Wahlergebnisse wenig miteinander zu tun: das eine, das kürzlich in Israel eine stramm rechte Regierung an die Macht gebracht hat, trotz aller ungustiösen Figuren in deren Umfeld; und das andere, bei dem in Niederösterreich die an Affären nicht eben arme FPÖ ein bemerkenswertes Comeback feiern konnte.

St. Pölten ist gewiss nicht Jerusalem, aber auf den zweiten Blick wird hier ein Muster sichtbar, das auch bei Wahlen in anderen westlichen Demokratien relevant ist. Es geht im Wesentlichen um Sicherheit vor tatsächlichen oder auch nur eingebildeten Bedrohungen von außen und die offenkundige Neigung des Wählers, auf diesbezügliche Defizite zu reagieren, indem er im Zweifel rechts oder sehr rechts wählt.

Dass die FPÖ mit dem leicht albernen Slogan "Festung Österreich" vor der Wahl in Niederösterreich um Stimmen warb, zeigt, dass es die Blauen verstehen, diese Befindlichkeit schlau zu bewirtschaften. Monopol darauf haben sie schon längst keines mehr, mittlerweile haben sogar skandinavische Sozialdemokraten Sicherheit angesichts alltäglich gewordener Messerattacken als zentrales Wahlmotiv erkannt.

Selbst Manfred Weber, der Chef der Europäischen Volkspartei, ein durch und durch biederer, besonnener, maßvoller Mann, appelliert überraschend deftig an diese Befindlichkeit: "Wenn es technisch nicht anders möglich ist, illegale Migration zu verhindern, dann müssen Zäune denkbar sein." Ein migrationspolitischer Doppel-Wumms, sozusagen. Es ist noch nicht so lange her, da wäre man als Nazi gesteinigt worden für die Forderung, die EU-Außengrenze mit Zäunen abzuriegeln.

Wenn jetzt sogar der brave Christdemokrat Weber fordert, was noch vor kurzem als Gipfel der Unmenschlichkeit galt, zeigt das vor allem eines: die Verzweiflung der gemäßigten politischen Mitte Europas gegenüber einem Problem, das zu lösen sie nicht wirklich imstande sind, dessen Lösung aber die Wähler immer übellauniger einmahnen.

Und zwar zu Recht: Wenn etwa in Deutschland 2022 statistisch schon fast jeden Tag eine Messerattacke registriert wurde, fast doppelt so viel wie noch im Jahr davor, dann wirkt sich das aufs Sicherheitsgefühl der meisten Menschen nicht eben günstig aus. Die spüren nur: Seit Jahren versprechen gemäßigte Politiker von rechts wie links der Mitte, die Migration und die damit verbundenen Probleme in den Griff zu bekommen oder zumindest ansatzweise zu lösen. Was sich aber, vor allem für die sozial Schwächeren, die in den entsprechenden Stadtteilen wohnen müssen, überhaupt nicht in ihrer Lebenswirklichkeit abbildet. Dass die dann eher anfällig für so schlichte Parolen wie "Festung Österreich" sind, überrascht eigentlich wenig.

Wenn sich Ende nächster Woche wieder einmal die Spitzen der Europäischen Union zum Sondergipfel des Europäischen Rates in Brüssel treffen, wird das Thema Migration prominent auf der Agenda stehen. Dass es dabei zu wirklich spürbaren Ergebnissen kommen wird, ist eher nicht zu erwarten. Und die Wähler werden weiter wählen, wie sie wählen.