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Die Sozialdemokratie zwischen Hölle, Fegefeuer und Paradies

Von Josef Oberneder

Gastkommentare
Josef Oberneder ist Vizerektor für Hochschulmanagement und Schulentwicklung an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich.
© privat

Die Suche nach dem SPÖ-Vorsitz gemahnt an Dante Aleghieris "Göttliche Komödie". Eine Organisation im 21. Jahrhundert braucht eine fundamentale strategische Diskussion über Strukturen, Inhalte und Zielsetzungen.


Dieser Tage dürfen sich wieder einmal viele Politikbeobachter in unserer Medienlandschaft präsentieren. Im Schatten der SPÖ-Spielchen, die einer "Divina Commedia" gleichen, gibt es Analysen von Experten, von Politikberatern, von Politikwissenschaftern und natürlich von den Granden der SPÖ selbst. In eine Hölle, ein Fegefeuer und das Paradies ist die "Göttliche Komödie" aufgeteilt und wurde zu einer der bedeutendsten Dichtungen der italienischen Literatur.

So wie Dante Alighieris Meisterwerk schöpft auch die SPÖ in ihrer Frage des Vorsitzes aus allen Bereichen der politischen Machenschaften. Von Chaostagen bis hin zu einer befreienden paradiesischen Neuentwicklung reichen die Kommentare. Gekonnt sinniert man in Diskussionssendungen über die besten Bewerber (es sind 73 an der Zahl), und die einzelnen Lager werden dabei deutlich sichtbar. Zwischen dem Burgenland und Wien ist das Match jedenfalls eröffnet: Pamela Rendi-Wagner und die "Liesinger Partie" oder Hans Peter Doskozil und seine Komplizen aus dem Burgenland. Und da sind dann noch Traiskirchens Bürgermeister Andreas Babler und weitere 70 Genossen (genau weiß man es nicht), die um die interne Gunst der SPÖ-Mitglieder werben.

Politischer Personenkult

Die Stärken und Schwächen der einzelnen Personen werden zwischenzeitlich medial gut und gerne öffentlich diskutiert, manchmal eloquent, manchmal holprig, aber sehr häufig peinlich inszeniert. Geht es in der politischen Arbeit etwa um eine obsessive Bewunderung und Verneigung vor einer Person? Ist die Sehnsucht so groß, dass man den Personenkult derart auf die Spitze treibt? Man sollte die Beispiele der ÖVP mit Sebastian Kurz noch trefflich in Erinnerung haben.

Aber schön der Reihe nach: Das Eingreifen in gesellschaftliche Zusammenhänge durch die Politik ist schwieriger geworden, vor allem in Zeiten gesellschaftlicher Komplexität und andauernder Krisen. Die Parteiapparate sind in ihrer Robustheit kaum aus der Ruhe zu bringen. Sie folgen einer Art strategieloser Eigenlogik und provozieren damit häufig die Frage, warum politische Steuerung misslingt. Das ist kein Spezifikum der SPÖ, sondern derzeit eine Hauptagenda der Bundesregierung. Beispiele gäbe es viele, denken wir nur an die so häufig als nicht treffsicher bewerteten Unterstützungsleistungen anlässlich der anhaltenden Inflationsdynamik.

Keine Schuldigen suchen

Zurück zur SPÖ: Als ein neuer Akt im großen sozialdemokratischen Drama wird das abendliche Gespräch im ORF mit dem Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch eingeleitet. Mit bürokratischem Gestus wird uns das interne Parteistatut erklärt. Irgendwie habe man den Prozess der Mitgliederbefragung nicht zu Ende gedacht. Aber man sei bemüht, nun den richtigen Pfad zu finden. Ein Blick durch eine system- und organisationstheoretische Brille würde der SPÖ in dieser Zeit guttun.

Organisationen als soziale Handlungssysteme erzeugen nämlich häufig Widersprüchlichkeiten, Paradoxien und Unsicherheiten. Diese zu managen und zu meistern und daraus gestärkt hervorzugehen, ist Aufgabe der Führung einer Partei. Kurz: Nicht die Suche nach einem oder mehreren Schuldigen wird die Lösung der Probleme sein. Schon der 1998 verstorbene Soziologe und Gesellschaftstheoretiker Niklas Luhmann warnte mit seiner organisationssoziologischen Theorie vor Schuldzuweisungen an einzelne Personen. Diese würden von der eigentlichen Quelle des Übels ablenken, die häufig in den dominierenden formalen Strukturen der Organisation lägen.

Wie auch immer die SPÖ die kommenden Wochen meistern möchte, sie wird sich darauf einstellen müssen, eine Art Fegefeuer zu durchschreiten, um ihre gewünschten paradiesischen Zustände zu erreichen. Die Führung würde dabei gut daran tun, zu erkennen, dass eine Organisation im 21. Jahrhundert eine fundamentale strategische Diskussion über Strukturen, Inhalte und Zielsetzungen braucht.

Die Konzepte zur Steuerung und Führung einer zeitgemäßen, modernen Partei sind nicht mehr eindimensional und hierarchisch. Längst geht es nicht mehr um imperialistische Steuerungsfantasien von der Wiener Spitze aus. Vielmehr wird man sich einer lateralen Führungsarbeit bedienen müssen. Selbst, wenn die Symptome erkannt wurden - die Therapie wird aufwendig und schmerzhaft sein. Aber: Die Chance lebt, und Österreich braucht dringend eine vitale Sozialdemokratie. Die Krise könnte als Basis für neue Erkenntnisprozesse dienen, denn der Zustand dieser Krise hat Dinge sichtbar gemacht, die vorher nicht gesehen wurden, weil sie eigentlich selbstverständlich waren.