Zum Hauptinhalt springen

Der wahre Sozialismus: Unzählige kleine Kapitalisten

Von Hatto Käfer

Gastkommentare
Hatto Käfer war in den Europäischen Institutionen in unterschiedlichen Führungsfunktionen tätig.
© privat

Ein wirtschaftspolitisches Fünf-Punkte-Programm für die SPÖ.


Habemus praesidem - heute wird aus dem Kamin des Design Center Linz roter Rauch aufsteigen, wenn der neue SPÖ-Vorsitzende und Aspirant aufs Kanzleramt in einem innovativen zweistufigen Verfahren gewählt worden ist. Über den Prozess wurde bereits alles gesagt, auch von fast allen, sodass wir uns zur Abwechslung mit wichtigen Inhalten befassen können. Zum Beispiel mit den Vorstellungen der SPÖ zur Wirtschaftspolitik, zumal eine erfolgreiche Ökonomie die Finanzierung aller Politikfelder erleichtert.

In den vergangenen Monaten war Bemerkenswertes zu vernehmen, etwa die Einführung der 32-Stunden-Woche in Zeiten eines längerfristig eklatanten Mangels an Arbeitskräften, neue und höhere Steuern im Hochsteuerland Österreich, touristische Übernachtungsbetriebe im Besitz der öffentlichen Hand oder die finanzielle Rettung einer Sektkellerei durch das Burgenland. Historisch entbehrt dieser Akt nicht einer gewissen Pikanterie, wird doch dem Sozialdemokraten Hugo Breitner eine entscheidende Rolle bei der Einführung der Sektsteuer vor 100 Jahren zugeschrieben.

Wie könnte nun eine sozialdemokratische Wirtschaftspolitik aussehen, die das Objekt der politischen Begierde, der Wähler, attraktiv findet und die, noch viel wichtiger, der Republik und ihren Bürgern bestmöglich dient? Ausgangspunkt der Überlegungen ist der 2018 im Grundsatzprogramm der SPÖ festgeschriebene Anspruch: "Wir waren und sind die Partei der arbeitenden Menschen und jener, die die Unterstützung anderer brauchen." Und das Ziel "einer möglichst breiten Mittelschicht, die Sicherheit spürt und auf ihre Wohlfahrt vertrauen kann". Zusammengefasst handelt es sich dabei um ein Wohlstandsversprechen für 90 Prozent der Bevölkerung. In diesem Licht erscheinen insbesondere fünf Optionen zielführend, von denen allerdings drei der klassischen linken Doktrin widersprechen.

Langfristig ist nur eine solide Budgetpolitik sozial

Auch wenn es langweilig klingt, langfristig ist nur eine solide Budgetpolitik sozial, denn Schulden, für die endlich wieder Zinsen fällig werden, sind eines Tages zurückzuzahlen. Der budgetäre Mehraufwand kann nur durch Massensteuern wie Umsatz- und Einkommensteuer finanziert werden, oder es wäre bei den großen Ausgabeblöcken Pensionen und Bildung zu sparen. Beide Stoßrichtungen treffen vor allem die Mittelschicht.

Die von der EU-Kommission im April vorgeschlagene Reform zur wirtschaftspolitischen Steuerung bietet den geeigneten Rahmen, sie ist ausreichend flexibel, um zukunftswichtige öffentliche Investitionen zu gewährleisten, gleichzeitig sorgt sie für ein Rückführen der Staatsschuldenquote von derzeit etwa 80 Prozent des Bruttonationalprodukts. Neue Forderungen an das Budget werden also nur dann zu rechtfertigen sein, wenn sie einen klar erkennbaren positiven Return on Investment nach sich ziehen.

Das durchdachte und ausgewogene Themenpapier der SPÖ vom November 2022 hat die große Bedeutung der Industrie gewürdigt, mit der Idee des Staates in der Rolle des strategischen Investors geht es allerdings zu weit. Grundsätzlich sind direkte Unternehmensbeteiligungen des Staates abzulehnen, da sie in einem erdrückend hohen Maße zu ineffizientem Wirtschaften und einem Mangel an Innovation führen.

Sehr wohl aber muss der Staat als weitsichtiger Mentor agieren, der frühzeitig für den adäquaten rechtlichen und technischen Rahmen sorgt und der auch den Unternehmen großzügig finanzielle Mittel für die Entwicklung neuer Technologien und Produkte zur Verfügung stellt. Silicon Valley, das vorgebliche Musterbeispiel rein privaten Unternehmergeistes, hätte ohne die Vision und die massiven Impulse der US-Behörden niemals seine heutige Bedeutung erlangt. Die 2021 aktualisierte Industriestrategie der EU-Kommission zielt auch in diese Richtung, in dem sie unter anderem eine Unterstützung von Industrieallianzen in sensiblen und strategisch wichtigen Bereichen sowie eine innovationsfreundliche Normungsstrategie vorschlägt.

Nicht alle Wirtschaftssektoren der Marktlogik überlassen

Keine Regel ohne Ausnahme, und somit kommen wir zum dritten Standbein einer im Ergebnis sozialdemokratischen Wirtschaftspolitik: der Daseinsvorsorge. Hinter diesem sperrigen Wort verbergen sich die für ein funktionierendes Gemeinwesen notwendigen Güter und Dienstleistungen, insbesondere Wasserversorgung, Abwasser- und Müllentsorgung sowie der nicht individuelle Personenverkehr, in weiterem Sinn auch Bildung, Kultur und Gesundheitswesen. Die Privatisierung der Bahn in Großbritannien, der Wasserversorgung in Manila, aber auch der heimischen Post mit ihrem stark ertragsorientierten Gebühren-Leistungs-Verhältnis liefern den Beweis, dass nicht alle Wirtschaftssektoren der Marktlogik überlassen werden dürfen.

Dies zeigte sich auch bei Energie, wo internationale Spieler durch den Ukraine-Krieg erhebliche Windfall-Profits lukrierten, während so manches Stadtwerk für die Aufrechterhaltung der Kundenversorgung sogar Verluste in Kauf nahm. Also ein klares Ja zur Daseinsvorsorge in öffentlicher Hand, ergänzt um einen ebenso deutlichen Imperativ zur sparsamen und kundenorientierten Unternehmensführung.

Dem kleinen Mann den Weg zu Wohnungseigentum eröffnen

Viertens, die populären Rufe nach Obergrenzen für Wohnungsmieten sowie ein erheblich asymmetrisches Mietrecht zu Lasten des Vermieters, mögen das finanzielle Leid des Mieters vorübergehend lindern, sind aber kontraproduktiv, da sie das Angebot verkleinern. Viel sozialer ist es, auch dem kleinen Mann den Weg zu Wohnungseigentum zu eröffnen. Dieser Besitz stärkt seine ökonomische Unabhängigkeit, verringert die individuellen Wohnkosten und sorgt infolge der dem Eigentum inhärenten Dynamik in Richtung Sorgfalt und Sparsamkeit auch für volkswirtschaftliche Effizienz. Das im Burgenland in Entwicklung befindliche Modell des Kaufs von ursprünglichen Mietwohnungen, vom Land zu einem fairen Preis errichtet, ist eine kluge Option; weitere bestehen.

Wenn nun die Sozialdemokratie "die Befreiung aus den Fesseln der ökonomischen Abhängigkeit" (Zitat: Hainfelder Prinzipienerklärung aus dem Jahr 1889) schon durch Wohnungseigentum vorantreibt, so ist es nicht weit zum fünften Punkt, der maximalen Beteiligung der Arbeiterklasse (also der oben erwähnten 90 Prozent der Bevölkerung) am Unternehmenskapital. Das im Jahr 2007 von der SPD beschlossene Hamburger Programm fordert sehr mutig mehr Vermögen in Arbeitnehmerhand. Anstelle einer Akkumulation von Kapital in Staatsbesitz steht nun die Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmenskapital. Sie soll nicht nur eine zusätzliche Quelle des Einkommens gewährleisten, sondern auch eine gerechtere Beteiligung der Beschäftigten am Erfolg "ihres" Unternehmens nach sich ziehen. Der menschlichen Natur entsprechend wird die Existenz von unzähligen Klein(st)kapitalisten auch Innovation und Produktivität fördern.

Zusammenfassend wird dieses Fünf-Punkte-Programm - gemessen an den Mitteln - schwer verdauliche Kost für den Liebhaber des allumfassenden, den als unmündig empfundenen Bürger rundum fürsorgenden Staates sein; jedoch ist es ein erfolgversprechender Weg, um die Wohlstands- und Gerechtigkeitsziele der Sozialdemokratie zu erreichen. Warten wir ab, was die Wirklichkeit bringen wird, und hoffen wir das Beste.