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Die Bedeutung der Entdeckung der "Gottesteilchen"

Von Christian Lukner

Gastkommentare
Christian Lukner hat Physik und Chemie studiert und als Gastwissenschafter in den USA gearbeitet. Danach war er im deutschen Forschungsministerium in Bonn tätig.

Am Cern ist ein großer Schritt gelungen. Von einem kompletten Verständnis aller Zusammenhänge im Universum sind wir aber noch weit entfernt.


Bereits am 13. Dezember 2011 berichteten Cern-Wissenschafter, dass sie womöglich erste Spuren des Higgs-Teilchens beobachtet hätten. Insoweit kommt die jüngste Entdeckung des "Gottesteilchens" nicht völlig überraschend. Neu sind die Forschungsdaten, die zwischen April und Mitte Juni mit den Experimenten Atlas und CMS am Large Hadron Collider (LHC-Speicherring) des Cern in Genf gesammelt wurden und einen höheren "Konfidenzgrad" der Aussagen ermöglichen. Die Fehlerwahrscheinlichkeit liegt laut Cern unter eins zu einer Million. Die Entdeckung hat sowohl Auswirkungen auf unser Verständnis von der Natur der Elementarteilchen und der zwischen diesen wirkenden Kräfte als auch von der Expansion des Universums seit dem Urknall.

Nach heutigen Vorstellungen hat sich das Universum - bestehend aus einem sehr dichten Anfangszustand von Ur-Elementarteilchen, die einer Ur-Wechselwirkung (-Kraft) unterlagen - nach dem Urknall abgekühlt, wobei es durch mehrere Phasen ging. Dabei haben sich die Ur-Elementarteilchen und die Ur-Wechselwirkung durch "Symmetriebrechung" differenziert. Deren Resultat sind die heute vorhandenen Elementarteilchen. Bei Abkühlung des Systems werden drei Higgs-Bosonen, die Quanten des Higgs-Feldes, von Z0- und W-Teilchen absorbiert, wodurch diese ihre Masse erhalten. Das Photon bleibt masselos. Somit muss es ein freies Higgs-Boson geben, nach dem jahrzehntelang gesucht wurde und dem man jetzt offensichtlich auf der Spur ist.

Die Existenz des Higgs-Feldes ist fundamental für die Interpretation der heutigen Elementarteilchenphysik. Die Suche nach nicht absorbierten Higgs-Bosonen war das Hauptmotiv für den Bau des neuen LHC am Cern. Wie man sieht, hat sich der Erfolg ziemlich rasch eingestellt, die Investition in die Grundlagenforschung machte sich schon nach relativ kurzer Zeit - ein Jahr nach Inbetriebnahme - bezahlt.

Wie geht es weiter? Jetzt müssen die Teilchenphysiker beweisen, dass es sich beim entdeckten Objekt tatsächlich um das Higgs-Teilchen handelt, das für die Masse-Eigenschaft der Materie verantwortlich sein soll. Dazu untersucht man die Wahrscheinlichkeiten, mit denen es in andere Teilchen zerfällt. Am Cern geht man davon aus, dass der "Konfidenzgrad" der Messungen bis Jahresende so groß sein wird, dass man im strengen wissenschaftlichen Sinn von einem Beweis wird sprechen können (bisher hieß es, man habe ein Teilchen beobachtet, das konsistent mit den Eigenschaften des Higgs-Bosons sei).

Allerdings sollte sich der Mensch vor Übermut und Überheblichkeit hüten, denn bei aller physikalischen Relevanz ist ein Elementarteilchen nur ein einziger Baustein im komplexen Wirkungsgefüge der Natur. Von einem kompletten Verständnis aller Zusammenhänge im Universum sind wir noch weit entfernt. Denn nach jeder Entdeckung tun sich neue Fragen auf (zum Beispiel, ob die Higgs-Entdeckung hilft, das Wesen dunkler Materie zu erklären). Das Staunen über die Leistungen des menschlichen Geistes einerseits aber auch Demut und Respekt vor den Kräften der Natur andererseits sind die Gebote der Stunde.