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Der Fluch des zu guten Wahlergebnisses

Von Werner Stanzl

Gastkommentare
Werner Stanzl ist Publizist und Dokumentarfilmer.

Die SPD braucht rote Fäden im Bündnis mit den Unions-Christen, doch Angela Merkels Ergebnis knapp unter der Absoluten verbietet Großzügigkeit.


Irgendwann wird auch Deutschland eine neue Regierung brauchen. Doch am Mittwoch entfuhr erstmals das Unwort "Neuwahlen" dem einen oder anderen genervten CDU/CSU-Unterhändler für eine Koalition aus Schwarz und Rot. Die Union nähert sich nämlich schrittweise der Erkenntnis, dass ihnen die Wahl vom 22. September ein zu gutes Ergebnis beschert hat.

Da fragt sich natürlich so mancher: "Wie bitte, ein zu gutes Ergebnis? Das kann’s doch nicht geben!" Doch Angela Merkel weiß: "Gibt es und ich habe daran zu schlucken." Wer nämlich in der Wahlnacht nach der dritten Hochrechnung die absolute Mehrheit auf seiner Seite hat und sie beim offiziellen Endergebnis nur knapp verfehlt, darf sich bei einem Parteitag mit einem Koalitionsvertrag voller Geschenke für die andere Seite nur Pfiffe erwarten. Da mögen die Delegierten noch so feinen Zwirn oder Loden tragen. Mit knapp unter der Absoluten darf man sich einfach nicht breitschlagen lassen und daherkommen wie eine, die es gerade noch einmal geschafft hat, stärkste Partei zu bleiben. Also kann Merkel nicht annähernd jenes Entgegenkommen zeigen, das Kompromisse unter normalen Gegebenheiten für ein Regierungsbündnis brauchen und das ihr weiterhelfen würde.

Das bekommen die SPD-Unterhändler just in dieser Endrunde der Verhandlungen zu spüren. Seit ihrem Parteitag in Leipzig voriges Wochenende weht ihnen ein eisiger Basis-Wind um die Ohren. Und auf die einfachen Parteimitglieder der Basis kommt es diesmal an, sie müssen die Koalitionsregierung absegnen. Der Ausgang ist mit einem Mal ungewiss.

Die eifrigsten Koalitionsdränger um Parteichef Siegmar Gabriel lassen deshalb deutlich nach. Die Genossen wollen wenigstens ihre Funktionen behalten, wenn schon nicht Minister werden. Funktionen, die zwar nicht so üppig dotiert sind wie in Österreich (siehe Josef Cap), aber über Karriere und Zukunft entscheiden. Zukunft braucht Karriere, Karriere braucht Flexibilität. Keinesfalls darf man bei einem etwaigen Nein der Basis zu den Losern gehören.

Dieses Besinnen ist begleitet von verbalen Vorbehalten bis hin zu Skepsis, was ein erfolgreiches Ende der Koalitionsverhandlungen mit Merkel und Co nur noch unwahrscheinlicher macht. Sie sind, wie man auf Neudeutsch so schön sagt, counterproductive.

All das spricht nicht für besondere Qualitäten der SPD-Führung. Das verdeutlichen die Wortmeldungen seit der Wahlnacht vom 22. September: Zunächst waren alle einmal stante pede gegen eine große Koalition, aber auch gegen eine aus SPD, Grünen und Linken. In den Tagen darauf genehmigte sich die SPD-Führung Sondierungen mit der Union. Danach galt es immer lauter und deutlicher Verantwortung zu tragen, aber ein Zusammengehen mit Merkel müsse eine deutliche sozialdemokratische Handschrift erkennen lassen: also Mindestlohn, doppelte Staatsbürgerschaft für Immigranten, kein Mutterschaftsgeld für Mütter, die ihre Kinder lieber selbst behüten als behüten lassen. Mit all dem und mehr könnte Merkel leicht leben, wäre da nicht dieses verdammt gute Wahlergebnis.