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Link in die Vergangenheit oder Zukunft?

Von Martin Heintel

Gastkommentare
Martin Heintel arbeitet am Institut für Geografie und Regionalforschung an der Universität Wien.

Die Abstimmung über die Verkehrsberuhigung auf der Mariahilfer Straße wird die weitere Stadtentwicklung in Wien beeinflussen.


Verantwortliche Stadtplanung hat sich Realitäten zu stellen und muss Zukunft gestalten. Realität ist, dass Wien wächst, sowohl was die bauliche Verdichtung innerhalb der Stadtgrenzen betrifft als auch bevölkerungsmäßig. Wien soll laut Prognosen in den kommenden Jahrzehnten um die Einwohnerzahl von Graz wachsen. Das ist viel und muss aus der Sicht der verantwortlichen Planung integriert werden. Dazu gehört der Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel ebenso wie die Reduktion des Individualverkehrs, vor allem im ohnedies schon überlasteten innerstädtischen Bereich. Wien ist global gesehen lebenswert, smart und ein wirtschaftlich attraktiver Standort. Verbesserungspotenzial gibt es immer.

Die Mariahilfer Straße ist Symbol und Vision für Stadtentwicklung gleichermaßen. Geht die bevorstehende Befragung zur Verkehrsberuhigung mit einem Nein aus, ist es ein Schritt zurück. Als negatives Symbol hätte es Konsequenzen für weitere zukunftsweisende Maßnahmen der Stadtentwicklung und Gestaltungen öffentlicher Räume, die damit einen Dämpfer erlangen würden. Ein Ja hingegen bedeutet eine weitere Dynamisierung der Stadtgestaltung. Und eines Stadtlebens, um das uns global gesehen schon jetzt viele beneiden, die es wertschätzen und deshalb auch gerne nach Wien kommen, ob beruflich oder in der Freizeit.

Demografisch gesehen scheint es auch eine Abstimmung Alt gegen Jung - das sollte zu denken geben. Einst kontrovers diskutierte Großprojekte der Vergangenheit wie die Donauinsel zeigten, dass sie letztlich bei allen Generationen gut ankommen, wenn sie einmal fertig sind.

Bei der Mariahilfer Straße zeigen Fehler im Umsetzungsprozess seit August 2013 auf, dass Stadtplanung ein komplexer Prozess ist. Und es ist nicht immer einfach, allen Interessengruppen gleichermaßen gerecht zu werden. Allein eine gleichberechtigte Aufteilung des öffentlichen Raumes in der Begegnungszone zwischen Autofahrer, Radfahrer und Fußgänger muss gelernt werden und erfordert Rücksichtnahme von allen. Viele weitere Fragen - Autoquerungen, 13A-Strecke, Zulieferung, Verdrängung des Individualverkehrs in manche Seitengassen, Interessen von Wohnbevölkerung, Geschäftsleuten, Garagenbetreibern und Taxlern - hängen zusammen. Auch die damit verbundenen Eigendynamiken fachlicher wie politischer und zum Teil konkurrierender Diskurse sind nicht zu unterschätzen.

Bürgerbeteiligung ist nicht immer einfach, wo es der zu gestaltende Planungsprozess von den Grundfragestellungen her selbst nicht ist. Mit der Komplexität der Aufgabe sinkt die Teilhabemöglichkeit des Einzelnen in Bezug aufs Ganze. Individuelle, oft emotionale Einstellungen und Bedürfnisse konkurrieren mit einem gesamtgesellschaftlichen Konsens. Vorsorgende Stadtplanung und -entwicklung ist jedoch auch die Suche nach einem Ergebnis im Sinne der Allgemeinheit und Lebensqualität und nicht im Sinne individueller Bauchentscheidungen und situativer Befindlichkeiten. Ein Nein zur Verkehrsberuhigung auf der Mariahilfer Straße "Hü" wäre aus stadtplanerischer Sicht ein Schritt zurück in die Vergangenheit.