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Allein in der Sperrzone

Von Isolde Charim

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Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien.
© Daniel Novotny

Wenn es stimmt, dass WKR-Ball und "seine" Proteste wiederkehrende Rituale sind, sollte der Text von 2015 auch 2016 funktionieren. Ein Experiment.


Wissen Sie, was der Unterschied ist zwischen dem Moment, wo ich dies schreibe, und jenem Moment, wo Sie dies lesen? Der Unterschied ist, dass in der Zwischenzeit das Ereignis, um das es geht, stattgefunden hat. Sie lesen also nach dem Ereignis, was ich vorher darüber geschrieben habe. Natürlich könnte man jetzt einwenden, dass das Schreiben solcherart ein gewisses Defizit haben könnte. Zum Beispiel weiß man nicht, was passieren wird. Das stimmt natürlich. Vor allem in Hinblick auf die sensible Frage der Gewalt. Nein, ich weiß jetzt nicht, ob es Freitagabend im Zuge der Anti-Akademikerball-Demonstrationen zu Ausschreitungen kommen wird - ob von Seiten der Demonstranten oder von Seiten der Polizei. Aber die Erfahrungen der letzten Jahre lassen nichts Gutes hoffen. Trotzdem - nein gerade deshalb habe ich entschieden, vorher zu schreiben - denn dies lässt den Blick frei für das, was im Ausschreitungsgetöse unterzugehen droht.

Wir haben es beim Akademikerball (dem ehemaligen Wiener Korporationsball) und bei den Protesten dagegen mittlerweile mit einer Tradition zu tun. Seit 2008 wurde der Ball zum fixen Datum für eine Konfrontation - eine Konfrontation mit Ankündigung gewissermaßen. Wir haben es also mit wiederkehrenden Ritualen zu tun. Waren schon Opernball und "seine" Demo-establishment und Anti-establishment-Party, so haben Akademiker (WKR)-Ball und "seine" Proteste diese Tradition sich spiegelnder gesellschaftlicher Manifestationen übernommen. Nun haben wir es mit dem Ritual von rechtsextremem und antifaschistischem "Fest" zu tun. Der beliebte Hinweis, in Österreich würden politische Konfrontationen nur im Umfeld von Bällen stattfinden, trifft es nicht ganz. Vor rund sechzehn Jahren wurden die Proteste gegen Schwarz-Blau als "anti-faschistischer Karneval" denunziert. Angesichts der Burschenschaftler mit ihren Mützen, Farbbändern, Schärpen und Schmissen fragt man sich, wer hier beim Karneval ist. Ja, hier werden alte Kämpfe wieder aufgeführt. Hier werden (wie beim Schach) alte Partien nachgespielt.

Und doch ist es alles andere als eine nostalgische Angelegenheit. Angesichts der Situation in Europa muss man sagen: Die Rechten führen in alten Kostümen ein altes Stück auf. Sie versuchen eine Neuauflage.

Eben deshalb ist das antifaschistische Protestritual keineswegs nostalgisch. Natürlich dient es dem eigenen Selbstverständnis. Man drückt den eigenen Unmut aus, man setzt ein Zeichen. Aber es geht über das Zeichen hinaus. Der Ball ist ja nicht einfach ein Ball, sondern eine politische Manifestation mit drei Zielen: der Vernetzung des europäischen Rechtsextremismus, dessen identitätsstiftende Inszenierung als "Hochkultur" sowie das Vor- und Eindringen in das "Zentrum" der Republik - in die Hofburg.

Genau deshalb sind die Proteste nicht nur Zeichen, sondern haben auch unmittelbare, reale Effekte: Gegen die Vernetzung können sie nicht viel ausrichten, aber sowohl der Anspruch der Rechten auf "Hochkultur" wie jener auf das "Zentrum" werden durch die Sperrzone, in die sie verwiesen werden, ausgehebelt.

Abgeschnitten vom Rest der Stadt, isoliert in der Sperrzone, findet der Ball der Inkorporierten in einem räumlichen Ausnahmezustand statt. Nicht gerade das Bild einer puren Akzeptanz.