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Den Islam verstehen - und nicht verurteilen

Von Peter Stiegnitz

Gastkommentare
Peter Stiegnitz ist Religionssoziologe, sein nächstes Buch "Lebendige Religionen" erscheint im Verlag Bibliothek der Provinz (Weitra).

Seit sich der Islam friedlich ausgebreitet hat, ist er paradoxerweise immer unbekannter geworden


Nichts ist so fern wie das Naheliegende. Seit der Islam in Europa - im Gegensatz zu den Jahren 1529 und 1683 - mit friedlichen Mitteln Boden gewann, hat er an Unbekanntheit zugenommen. Die Ergebnisse unzähliger soziologischer Erhebungen positionieren das Bild des Islam zwischen einer gewaltbereiten Religion und einer in Westeuropa ungewohnten religiösen Frömmigkeit. Und außerdem ist ein Gutteil der jeweiligen Befragten von einer "monolithischen Einheit" dieses Glaubens überzeugt. All das spiegelt allerdings nur ein Zerrbild des Islam wider.

Da der Islam weder eine Säkularisation noch einen Laizismus von Dauer je erlebt hat, bestimmt die Religion die politische Positionierung. Dazu kommt noch, dass die Kreuzzüge und die Zeit der Kolonialisierung in Afrika und Asien im kollektiven Bewusstsein der Muslime eine tiefe Unzufriedenheit hinterließen. Allerdings gilt diese Auflehnung gegen den "Westen" schlechthin im Euro-Islam nur im Kreise islamistischer "Terroranfällige".

Alle Muslime dieser Welt eint die innerliche Zuneigung zum Religionsstifter Mohammed. Er gilt für alle Muslime als der "letzte Prophet", der Vollender der beiden vorhergehenden Bünde Gottes (mit Moses und Jesus). Mohammed ist für die Muslime trotzdem kein Heiliger, er wird geehrt und wie Moses nicht angebetet, wie es die Christen mit dem "Sohn Gottes" zu tun pflegen. Mohammed war von seiner Geburt bis zu seinem Tod ein Mensch - wie Moses -, der Gottes Wort als Offenbarung gutteils vom Erzengel Gabriel erhielt. Wichtig für Mohammed und für alle Muslime ist die "Umma" (die Gemeinde), die heute als weltweite Einheit, als ein Volk verstanden wird.

Die unumstößliche Basis aller islamischen Rechtsschulen und Glaubensrichtungen ist der Koran. Heutzutage hört man in den großen, nahezu immer aufgebracht geführten "Islam-Diskussionen" selten über die innerreligiösen reformatorischen Bestrebungen und ihrer Geschichte im Islam.

Wie im Judentum, so nahm auch
der Reformislam seinen Anfang im 19. Jahrhundert. Die wohl prägnanteste Gestalt war dabei Jamal ad-Din-al-Afgani (1838 bis 1897), ein Iraner, der den Beinamen Afghani annahm. Afghani und mit ihm andere Reformer bemühten sich, die westliche Moderne der östlichen Tradition näherzubringen. "Korantreu" blieben auch die islamischen Reformer, sie strebten nur eine Neubewertung der alten Propheten-Tradition an.

Mit ihren politischen und religiösen Bestrebungen waren die Väter des Reformislam weit ihrer Zeit voraus und legten - natürlich ungewollt - die theologischen Grundsteine des heutigen und wohl künftigen Euro-Islam. Ihr Werk war auch aus einem anderen Grund nicht vergeblich, da sie die große Gefahr eines "versteinerten Islam" - die Wiederherstellung des Kalifats - richtig erkannten und die Meinung vertraten, dass bereits Mohammed selber die weltliche Herrschaft vor die religiöse Botschaft stellte.

Genau gegen dieses Vorhaben des "Propheten" kämpfen islamistische Terroristen wie der IS unerbittlich an. Deshalb heißt es völlig zu Recht in den Kreisen des Euro-Islam: "Weder wir noch der Islam haben etwas mit den Terroristen gemein."