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Der Finanzsektor kann Europa stärken oder schwächen

Von Karl Aiginger und Vanessa Koch

Gastkommentare
Karl Aiginger ist Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo). Vanessa Koch ist Projektmitarbeiterin des Wifo für WWW for Europe.

Bei der strukturellen Bankenreform hinkt Europa hinter den USA nach.


Das Wifo hat mit 34 Partnern eine Strategie entwickelt, mit der Europa seine Krise überwinden und wieder - nach fast zehn Jahren Stagnation - zu einem wirtschaftlichen Wachstum zurückkehren kann. Es sollte aber nicht eine Fortsetzung eines schuldenfinanzierten Wachstums mit immer höherer Staats- und Steuerquote sein, sondern eine Dynamik, die durch soziale Innovationen sowie Investitionen in die Verringerung der Nutzung fossiler Energieträger gekennzeichnet ist. Nur ein dynamisches Europa kann die Belastungen durch den Flüchtlingsstrom bewältigen, und nur ein attraktives gesellschaftliches Modell "Europa 2050" kann den Austritt Großbritanniens unwahrscheinlicher machen.

Einer der sieben Pfeiler der vorgeschlagenen Europa-Strategie ist eine Reform des Finanzsektors. Diesem kommt eine bedeutende Rolle in der Finanzierung einer dynamischen und nachhaltigen Wirtschaftsaktivität zu. Reformen müssen ihn stabiler machen, damit er die Finanzierung der Realwirtschaft bestmöglich unterstützen kann. Seit der Finanzkrise ist vieles geschehen. Regulierungen wurden verschärft, wenn auch oft weniger komplizierte Regeln effektiver und für Banken weniger belastend gewesen wären. Die Bankenunion nimmt Konturen an, Bankenabwicklungen sind in Zukunft leichter möglich, ohne dass die Kunden Geld verlieren oder der Staat sofort einspringen muss.

Bei der strukturellen Bankenreform hinkt Europa allerdings hinter den USA nach, etwa bei der Trennung von Investmentbank- und Kundengeschäften. Die Verlagerung von Risiken in den Schattenbankensektor wurde sogar deutlich intensiver. Steuer- und Regulierungsoasen sind noch immer nicht trockengelegt. Transaktionen finden zu sehr mit anderen Finanzinstitutionen statt und zu wenig mit dem Realsektor. Die Besteuerung von spekulativen Transaktionen ist praktisch gescheitert. Eine Finanztransaktionssteuer, die kurz- und kürzestfristige Transaktionen be- und Aktienkäufe entlastet, könnte zu höherem Wachstum und Beschäftigung führen.

Neben der Verhinderung künftiger Krisen sind zwei Element zentral für Europas Erfolg. Innovationen durch junge und kleine Firmen müssen erleichtert werden. Hier sind Banken extrem zurückhaltend. Neue Finanzierungsinstrumente inklusive Bündelung privater Mittel (Crowdfinanzierung) sind ebenso nötig wie neue nicht zu komplizierte Regeln und die Absicherung von Risiken.

Zweitens sollten Anreize für Investoren und Pensionsfonds geschaffen werden, für ihre Anlageportfolios neben rein ertragsorientierten Zielen auch bewusst Fonds mit sozialen oder ökologischen Ziele zu wählen. Dazu ist etwa eine objektive Bewertung (Kennzeichnung) von Anlagefonds nach der Auswahl der Investitionsprojekte nötig. Es sollte Anlage- und besonders auch Pensionsfonds geben, die besonders in Projekte zur Erreichung der Klimaziele investieren, in Gesundheit und in Friedensprojekte. Erste Untersuchungen zeigen, dass auch nicht nur auf Renditenmaximierung abzielende Fonds ertragreich sein und sogar stabilere Erträge haben können.

Mit diesen Vorschlägen kann der Finanzsektor nicht nur stabiler werden und die Realwirtschaft stärken, sondern auch gesellschaftliche Ziele unterstützen, die Europa attraktiv und wohlhabend machen.