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Ein temporärer sozialer Ausgleich

Von Holger Blisse

Gastkommentare
Holger Blisse ist Lehrbeauftragter und unter anderem auf kreditwirtschaftliche, genossenschaftliche und sozialpolitische Themen spezialisiert.

Das finnische Modell zum bedingungslosen Grundeinkommen setzt beim Problem der Zeit in der Bildungs- und Arbeitswelt an.


In Österreich ist die Diskussion eröffnet, in Finnland wurden mit Jahresbeginn die Weichen für einen Versuch gestellt: 2000 zufällig ausgewählte Arbeitslose erhalten für zwei Jahre ein bedingungsloses Grundeinkommen. Indem es Erwerbsfähigen zugesprochen wird, die in keinem Arbeitsverhältnis stehen, geht es nicht so weit wie etwa die im Rahmen der Gemeinwohl-Ökonomie definierte "Demokratische Mitgift", die bereits mit der Geburt entstünde.

Das finnische Modell setzt beim Problem der Zeit an: Bildungswege und (un)selbständige Beschäftigungsmöglichkeiten verlaufen immer weniger planbar und geradlinig. In einem auf Wachstum setzenden, Innovationen fördernden und damit von "schöpferischer Zerstörung" begleiteten Wirtschaftssystem ist der Grat zwischen selbst gestalten können und sich an die Verhältnisse anpassen müssen schmal - Flexibilität ist gefragt. Nicht jeder wird immer einen bezahlten Job finden und auf Dauer behalten, auch weil unser vor allem ökonomisch geprägtes Verständnis Arbeit als wesentlichen unternehmerischen Kostenfaktor begreift - auch wenn von Humankapital die Rede ist. Angekündigte Stellenstreichungen lassen fast immer die Kurse von börsennotierten Unternehmen steigen und damit das Vermögen der Aktionäre und deren Dividenden. So besehen sind Vorschläge, die Finanzierung des Sozialstaats stärker aus Vermögenseinkommen zu bestreiten, gut nachvollziehbar.

Die Quelle dafür, dass Vermögenseinkommen möglich werden, ist wiederum die Arbeit - von Menschen und/oder Maschinen verrichtet. An der Börse wird die Erwartung auf den aggregierten künftigen Arbeitserfolg in einem Unternehmen bewertet und mittels Aktie handelbar gemacht. Der Aktionär partizipiert am Erfolg, er lässt arbeiten und trägt das Risiko, dass dieser Erfolg ausbleiben kann. Verständlich ist der Ausbau von Vorschlägen, die den Beschäftigten selbst eine Teilhabe eröffnen und Mitarbeiterbeteiligungsmodelle fördern wollen.

Auch wenn das Vermögenseinkommen zur Finanzierung beiträgt, steht am Anfang die verrichtete Arbeit. Das bedingungslose Grundeinkommen wirft uns in einem Geldsystem immer wieder darauf zurück, dass heute die vorhandene Arbeit rationalisiert und nicht in gleichem oder höherem Maße durch neue Formen bezahlter Arbeit ersetzt wird, sogar begleitet von einer immer größere Unterschiede aufweisenden Gehaltsspreizung. Dies ist umso besorgniserregender, als es schon für junge Menschen schwieriger wird, Lehrlingsplätze zu finden. Für Studierende verlagert sich die gleiche Problematik ans Ende des Studiums, ihre studienbegleitende Arbeit kann durchaus an die Stelle des Einsatzes von Lehrlingen treten.

In so einem System kann ein bedingungsloses Grundeinkommen als temporärer sozialer Ausgleich verstanden werden zwischen jenen, die Arbeit haben und Sozialabgaben entrichtet, und denen, die Arbeit suchen - unabhängig vom Anspruch auf Arbeitslosengeld. Zentral bleibt, die Bedingungen so zu gestalten, dass jedem Einzelnen ein möglichst die individuellen Fähigkeiten ansprechendes und entfaltendes Arbeits- und Erwerbsleben eröffnet wird und erhalten bleibt.