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Ein frommer Wunsch

Von Peter Hilpold

Gastkommentare

Die Indexierung der Familienbeihilfe wird vermutlich nicht die erhofften Einsparungen bringen.


Wien. Die schon länger in Österreich geführte Diskussion um eine Indexierung der Familienbeihilfe bei Zahlungen ins Ausland ist in den letzten Wochen neu entbrannt und beschäftigt nun höchste politische Instanzen. So haben erst am Mittwoch Außenminister Sebastian Kurz und Familienministerin Sophie Karmasin angekündigt, ein nationales Gesetz zur Indexierung der Familienbeihilfe ausarbeiten zu wollen. Im überarbeiteten Regierungsprogramm fand sich noch der Plan, der Europäischen Kommission bis März einen Vorschlag für eine EU-rechtliche Lösung vorzulegen. Allerdings hat EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen erst vergangene Woche einen entsprechenden Gesetzesentwurf des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble abgelehnt.

Insgesamt ist diese Thematik auch etwas komplexer als zum Teil gedacht. Für Österreich scheint es hier tatsächlich um sehr viel zu gehen, wenn es zutrifft, dass aus diesem Land jährlich rund 250 Millionen Euro an Familienleistungen ins Ausland bezahlt werden, während die betreffende Zahl bei der weitaus größeren Bundesrepublik Deutschland bei nur 200 Millionen Euro liegen soll. Österreich wäre nach den kolportierten Zahlen der am stärksten betroffene EU-Mitgliedstaat.

EU-Kommissar Johannes Hahn hat den österreichischen Hoffnungen, eine Indexierung - also eine Anpassung der Familienleistungen an die Lebenshaltungskosten im Aufenthaltsstaat der Leistungsbezieher - vornehmen zu können, neue Nahrung gegeben: Die EU-Kommission hätte sich primär deshalb ablehnend gegenüber einer solchen Regelung gezeigt, da EU-weit die Zahl der Betroffenen gering sei (etwa ein Prozent der Leistungsbezieher) und eine EU-Regelung mit Kosten und erheblichem Aufwand verbunden sei. Die Mitgliedstaaten (konkret Österreich) sollten selbst initiativ werden und "Kreativität" zeigen.

Materielle Gleichheit oder Unionsrechtswidrigkeit?

Von anderer Seite wurde wiederum die strikte Unionsrechtswidrigkeit einer solchen Maßnahme behauptet. Zwar sei eine solche Regelung für Großbritannien ins Auge gefasst, dann aber nicht umgesetzt worden (da sich Großbritannien ja für den "Brexit" entschieden hat). Diese Stellungnahmen geben jeweils einen Teilausschnitt der Problematik wieder.

Es gibt tatsächlich gute Argumente für eine solche Indexierung, die ja nur eine Anpassung von Leistungen an den tatsächlichen Bedarf verwirklichen - und damit materielle Gleichheit schaffen würde. Dem entgegen steht auf den ersten Blick die Verordnung Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Gemäß Art. 67 dieser Verordnung hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, "als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden".

In den Erwägungsgründen (Nr. 12) dieser Verordnung findet sich allerdings ein Verweis auf das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, wonach der Grundsatz der Gleichstellung von Sachverhalten oder Ereignissen nicht zu sachlich nicht zu rechtfertigenden Ergebnissen führen dürfe. Unter Punkt 16 wird ausgeführt, dass es in besonderen Fällen - vor allem bei besonderen Leistungen, die an das wirtschaftliche und soziale Umfeld der betreffenden Person gebunden sind - der Wohnort berücksichtigt werden könne.

Beispiel Großbritannien vorder "Brexit"-Entscheidung

Im Rahmen des Konzessionspakets, mit welchem Großbritannien vom "Brexit" abgehalten werden sollte (Beschluss der im Europäischen Rat vereinigten Staats- und Regierungschefs über eine neue Regelung für das Vereinigte Königreich innerhalb der Europäischen Union v. 19.2.2016), war gerade eine solche Indexierung vorgesehen gewesen - allerdings war in diesem Zusammenhang auch eine Novellierung der Verordnung 883/2004 geplant. Der Europäische Rat hat in diesem Kontext festgehalten, dass diese Regelungen mit den Verträgen voll und ganz im Einklang stünden.

Dem Rat von EU-Kommissar Hahn folgend, könnte Österreich somit den Alleingang versuchen, eine Indexierung einführen und nachfolgend darauf hoffen, dass diese vom EuGH auf der Grundlage des Primärrechts und der von der Verordnung 883/2004 eröffneten Spielräume abgesegnet wird. Tatsächlich spiegelt die Verordnung 883/2004 ja selbst in weiten Bereichen allein die EuGH-Rechtsprechung wider und diese scheint gerade in letzter Zeit sehr offen für die souveränen Belange der Mitgliedstaaten zu sein. Ein für Österreich positiver Ausgang eines solchen Verfahrens ist zwar möglich, aber nicht sicher. Der Wortlaut von VO 883/2004 schafft diesbezüglich schon sehr hohe Hürden.

Mehr Familiennachzugstatt Ersparnisse

Tatsächlich scheint der politische, auf eine Normänderung ausgerichtete Weg, der, wie erwähnt, gerade auch für Großbritannien hätte beschritten werden sollen, der zielführendere zu sein. Dabei sind aber folgende Punkte zu bedenken, die insbesondere in der englischsprachigen Fachliteratur gerade für Großbritannien schon vor Wochen thematisiert worden sind:

Das Argument der Kosten der Administrierung eines solchen Indexierungssystems ist nach wie vor nicht von der Hand zu weisen und diese Kosten würden gerade auch für ein nationales Indexierungssystem erheblich ins Gewicht fallen.

Völlig übersehen wurde in Österreich aber folgendes (ebenfalls für Großbritannien schon sehr intensiv diskutiertes) Argument: Eine Indexierung, die wirtschaftlich etwas bringen soll, wäre mit erheblichen Einschnitten verbunden und würde umgekehrt einen weiteren Anreiz für Beihilfenempfänger darstellen, den Familiennachzug nach Österreich zu betreiben. In der Folge wäre nicht nur keine Ersparnis eingetreten, sondern auch noch die Zuwanderung gefördert worden, die ja gegenwärtig gerade stark eingeschränkt werden sollte.

Die angepeilten Kosteneinsparungen werden damit aller Voraussicht nach nicht eintreten.

Gastkommentar

Peter

Hilpold

ist Professor für Völkerrecht, Europarecht und Vergleichendes Öffentliches Recht an der Universität Innsbruck.