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Die Schwierigkeit, etwas dazuzulernen

Von Wolfgang Gratz

Gastkommentare

Dem Strafvollzug fehlt kein härteres Regime, sondern vielmehr eine klar definierte Hauptaufgabe.


Erst kürzlich erlangte der Strafvollzug wieder einmal größere mediale Präsenz. Eigentlich war es ein Freudentag für die Justizwache, denn das Justizministerium war der Forderung nach besserer Bewaffnung und Ausrüstung nachgekommen. In einer Pressekonferenz wurde der Test von Teleskopschlagstöcken und Stichschutzwesten vorgestellt. Ein Justizwache-Personalvertreter forderte jedoch Polizeikompetenzen, sprach sich gegen "Kuschelvollzug" und Betreuungsmaßnahmen aus und trat für eine Unterscheidung des Vollzugsregimes je nach Herkunftsland von Gefangenen ein.

Als Volksanwältin Gertrude Brinek in diesem Wunsch einen mittelalterlichen Strafvollzug ortete und die Forderung nach Diskriminierung von Fremden als verfassungswidrig bezeichnete, wurde sie nicht nur vom Chef des Zentralausschusses der Justizwache, sondern auch von einem ÖVP-Abgeordneten herb kritisiert. Es fiel auch das Wort "Sozialromantik". Rund zwei Wochen später stellte sich Justizminister Wolfgang Brandstetter "klar auf die Seite der Beamten", wie er bei einer Veranstaltung der "Tiroler Tageszeitung" erklärte. "Ich verstehe, dass die Beamten im Strafvollzug mehr Schutz brauchen".

Um ein wenig die Realität ins Spiel zu bringen: Das Strafvollzugsgesetz enthält verschiedene Sicherheitsmaßnahmen bis hin zum Anlegen von Fesseln und Ordnungsstrafen wie den strengen Hausarrest. Es sieht auch vor, dass der unmittelbar Aufsicht führende Strafvollzugsbedienstete eine Absonderung eines Gefangenen vornimmt, wenn dies notwendig erscheint. Welchen zusätzlichen Nutzen in diesem Zusammenhang das Sicherheitspolizeigesetz stiften soll, erschließt sich zumindest Rechtskundigen nicht.

Gefangene nur "verwahrt"

Im Alltag des Strafvollzuges (spätestens seit dem Anstieg der Zahl der Inhaftierten von rund 6000 auf 9000) herrscht der Verwahrvollzug vor. Viele Insassen können nicht beschäftigt werden, obwohl sie sehr gerne arbeiten würden. Der überwiegende Großteil der Insassen ist von Freitagmittag bis Montagfrüh im Haftraum eingeschlossen - mit Ausnahme von zweimal einer Stunde Bewegung im Freien.

Typischerweise wird auch unter der Woche der Großteil des Tages in der Zelle verbracht. Unbeschäftigte Insassen sind rund 155 der 168 Wochenstunden im Haftraum eingeschlossen, Beschäftigte rund 125 Stunden. Größere Bewegungsfreiheit herrscht überwiegend nur in Sondervollzügen (Jugendliche, Frauen, gelockerter Vollzug, Entlassungsvollzug, Maßnahmenvollzug). Sport- und Freizeitangebote wurden in den vergangenen Jahren deutlich zurückgefahren.

Im Vergleich etwa zur Schweiz und zu Deutschland ist es eine Spezialität des heimischen Strafvollzugs, dass er personell von einem uniformierten Wachkörper dominiert ist, der ähnlich wie die Polizei uniformiert und auch bewaffnet ist und auch über hochtrainierte Einsatzgruppen verfügt. Zudem muss man die Justizwache eigentlich im Aufwind erleben.

In jüngerer Vergangenheit wurde die Zahl von Akademikern als Anstaltsleiter kontinuierlich verringert, mehrheitlich leiten Justizwacheoffiziere die Justizanstalten. In der Generaldirektion für den Strafvollzug ist ein Justizwache-General Leiter der Sicherheitsabteilung und innerhalb des Kabinetts des Bundesministers ist ein dienstführender Justizwachebeamter (entspricht beim Militär einem Unteroffizier) mit einem Hintergrund als Personalvertreter und Gewerkschaftsfunktionär für den Strafvollzug zuständig. Dies ist insofern beachtlich, als auch die Beamten des Justizministeriums gegenüber den Wünschen und Aufträgen aus dem Kabinett (man bewegt sich hier in einer Grauzone) im Allgemeinen eine große Geneigtheit aufweisen.

Forderungen der Justizwachegewerkschaft werden auch dann erfüllt, wenn sich deren Nutzen für Strafvollzugsexperten beziehungsweise Kriminologen nicht erschließen kann. So wird etwa in der Grundausbildung jeder Beamte am Sturmgewehr trainiert. In Hinkunft sollen bei der Überstellung von als besonders gefährlich angesehenen Insassen Schützenpanzer des Bundesheeres zum Einsatz kommen. Außerdem soll der Strafrahmen für tätliche Angriffe auf Beamte laut einer Regierungsvorlage erhöht werden, wobei als Begründung vor allem besserer Schutz für Justizwachebeamte angegeben wird.

Ministerium in Duldungsstarre

Nichtsdestotrotz haben deftige mediale Entäußerungen von Vertretern der Justizwache Tradition. Über die Jahre hinweg werden, ohne dass dies Konsequenzen gehabt hätte, Anstaltsleiter beleidigt ("selbst ernannte Managementneurotiker") und tatsachenwidrige Skandalisierungen des Strafvollzugs betrieben. Mal wird in der Zeitschrift "Die Exekutive" "von einem gesunden Rechtsverständnis" gesprochen, als es möglich war, einem Verbrecher "bei Wasser und Brot die Möglichkeit zu verschaffen, auf seine Irrtümer hinweisen zu können (!)", mal findet sich die Aussage "Das Gefängnis ist und bleibt eine Verwahrungsstelle", dann wieder wird die Umsetzung einer UNO-Richtlinie ("Bangkok-Rules") für den Strafvollzug an Frauen heftig kritisiert.

In all diesen Fällen verharrte bei wechselnden Bundesministern und Spitzenbeamten das Justizministerium in Duldungsstarre. Die Verantwortlichen treten weder abwegigen und tatsachenwidrigen Äußerungen entgegen, noch äußern sie sich grundsätzlich zu Zielen und Aufgaben eines modernen Strafvollzugs. Seit ungefähr 20 Jahren beklagen Führungskräfte in den Justizanstalten das Fehlen eines Leitbildes, ohne dass ein solches bisher entwickelt worden wäre. Die Anstaltsleiter, auch die Justizwachoffiziere, fühlen sich zunehmend im Stich gelassen. Zudem entsteht in der Öffentlichkeit ein Bild vom Strafvollzug, das der überwiegende Großteil der Justizwachebeamten, die ihren nicht einfachen Dienst engagiert oder zumindest unaufgeregt machen, nicht verdient hat.

Der Psychiater und Psychoanalytiker Wilfred Bion führte, nicht zuletzt aufgrund seiner Erfahrungen als Leiter eines Psychiatrischen Militärhospitals, also auch einer Totalen Institution, folgende Unterscheidung ein: Es gibt einerseits Organisationen mit einer klar definierten Hauptaufgabe, die die Aufgabenerfüllung in den Mittelpunkt stellen und sich mit den an sie gerichteten Anforderungen differenziert und entwicklungsorientiert auseinandersetzen.

Andererseits: Wenn diese Hauptaufgabe nicht klar ist, gibt es eine deutliche Tendenz, sich in Grundannahmen zu verfangen, in "Kampf-Flucht" nach dem Motto: "Wir sind von Feinden umzingelt, die wir entweder bekämpfen müssen oder vor denen wir zurückweichen sollten." Sowie in "Abhängigkeit" nach dem Motto: "Wir sind so arm und schwach und im Stich gelassen, ohne dass man uns hilft, kann man von uns nichts erwarten." In beiden Fällen entschwindet die Bedeutung der Arbeitsinhalte. Zudem fehlen eine differenzierte Erfassung und Auseinandersetzung mit der Arbeitswirklichkeit und den Erwartungen der verschiedenen Anspruchsgruppen.

Gruppen, auch Berufsgruppen, kann nur dann aus Grundannahmen heraus geholfen werden, wenn man die Hauptaufgabe klar definiert und auf ihre Bedeutung und Notwendigkeit unablässig hinweist. Die Hauptaufgabe des Strafvollzugs wäre gar nicht so schwer zu definieren. Beispielsweise könnte sie lauten: "Wir leisten faire Menschenführung in einer sicheren Umgebung." Ob man sie so oder anders definiert: Solange die Hauptaufgabe im Strafvollzug nicht klar und wirkungsvoll kommuniziert wird, wird sich die Justizwache weiterhin vernachlässigt vorkommen. Ihre Vertreter werden ihren Frust in befremdlicher Form kommunizieren. Das Justizministerium wird möglichst viele Forderungen erfüllen, auch wenn sie nicht zielführend sind und eine Ressourcenvergeudung bedeuten. Und es wird, so gut es geht, versuchen, den Deckel auf dem brodelnden Topf zu halten.

Wenn der Strafvollzug bei den ihm Anvertrauten Lernprozesse in Gang setzen soll, müsste er zunächst einmal selbst ein wenig dazulernen. Von Interesse könnten hierbei Vergleiche sein, so mit den wesentlich ziviler orientierten Strafvollzugssystemen Deutschlands und der Schweiz und ihren Vor- und Nachteilen. Öffentliche Bekundungen von beruflicher Unzufriedenheit sind dort jedenfalls deutlich seltener und moderater.

Wolfgang Gratz ist Experte für empirische Verwaltungsforschung. Er publizierte auch mehrfach zum Strafvollzug, 2008 erschien sein Buch: "Im Bauch des Gefängnisses."