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Erdogan, der Separatist

Von Hülya Tektas

Gastkommentare
Hülya Tektas studierte an der Universität Wien Soziologie und BWL. Die in Istanbul geborene Kurdin lebt seit 1998 in Wien, wo sie Soziologie und BWL studiert hat. Sie arbeitet als Sozialberaterin in Wien. Foto: privat

Der türkische Präsident machte aus seinen Machtgelüsten nie ein Geheimnis. Umso mehr überraschen die Reaktionen auf seinen erneuten Wahlsieg.


Nun ist genau das eingetreten, was man vor langer Zeit schon geahnt hatte. Mit nur knapper Mehrheit und trotz Vorwürfen über massiven Wahlbetrug und -manipulation wurde das türkische Verfassungsreferendum zugunsten des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan entschieden.

Erdogans Kampf um die Auslandsstimmen ließ zwar vermuten, dass er sich über die Stimmenknappheit bewusst war, dennoch ist der Wahlausgang keine allzu große Überraschung, wenn man bedenkt, dass er die Türkei seit 2003 zuerst als Premier und danach als Präsident mit eiserner Hand regiert. Die Welt konnte mitansehen, wie sich ein Mann und mit ihm auch eine ganze Nation innerhalb von 14 Jahren veränderten. Da Erdogan nicht erst seit dem Referendum, das ihm mit der Verfassungsänderung die lang ersehnte Ein-Mann-Herrschaft ermöglicht, eine Gefahr darstellt, sollten sich Politiker und alle anderen, die ihn kritisieren, fragen, ob man die Entwicklung der vergangenen 14 Jahre nicht hätte verhindern können.

Im Grunde genommen kann man Erdogan nun als Separatisten bezeichnen, denn er hat die Türkei in zwei Lager gespalten: jenes, das für ihn sind, und jenes, das gegen ihn ist. Es ist absurd, bei einem derart knappen Ergebnis eine Verbesserung der politischen Situation in der Türkei zu erwarten. Fast die Hälfte der Türkei ist gegen die Verfassungsänderung, die Erdogan mehr Rechte verschafft. So ist es auch voraussehbar, dass er umso mehr Repressionen und Druck wird ausüben müssen, um jene Hälfte, die gegen ihn ist, zu zügeln. Dass unverzüglich nach dem Referendum der Ausnahmezustand verlängert wurde, deutet bereits an, in welche Richtung sich die Situation entwickeln wird.

Noch braucht Europa Erdogan

Die zur Zeit schwache türkische Wirtschaft ist sehr eng mit der europäischen verbunden. Deshalb ist es fraglich, ob Erdogan sich tatsächlich eine Anti-EU-Politik leisten kann. Zudem stellt sich die Frage, wie sich die EU beziehungsweise Europas demokratische Kräfte nach dem Referendum nun verhalten werden, und ob den leeren Versprechungen und bedauernden Worten auch irgendwann Taten folgen. Zahlreiche Politiker höchsten Ranges gratulierten Erdogan prompt zum Wahlsieg, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel betonte kurz nach dem Referendum die Bereitschaft Deutschlands, den Dialog mit der Türkei weiterzuführen. Sogar Österreichs Außenminister Sebastian Kurz betonte nach seiner eindeutigen Kritik, die Türkei bleibe trotz aller Schwierigkeiten ein wichtiger Nachbar Europas.

Noch braucht der Westen Erdogan. Einerseits wegen des fragwürdigen Flüchtlingsabkommens, andererseits aber auch wegen der geopolitischen Lage der Türkei in einer Zeit, in der sich der ganze Nahe Osten neu zu definieren versucht. Aber auch der Weg Saddam Husseins vom akzeptierten Verhandlungspartner über die Persona non grata bis zum wahnsinnigen Tyrannen war lang. Bis dahin heißt es für die Hälfte der Türken: gegen die Ein-Mann-Diktatur Erdogans protestieren und Widerstand leisten.