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Parlamentarische Demokratie - eine Wertung

Von Wolfgang Wolte

Gastkommentare
Wolfgang Wolte war Botschafter bei den Europäischen Gemeinschaften in Brüssel.

Die gewählten Vertreter sind besser und umfassender informiert, als es eine Teilnehmerin oder ein Teilnehmer an einem Referendum sein kann.


In einem Gastkommentar in der "Wiener Zeitung" zitierte Heinz Kienzl unlängst eine Reihe von Fällen, die die Problematik der Anwendung von Verfahren direkter Demokratie aufzeigen. Die parlamentarische Demokratie sollte nicht durch Aushebelung mittels Referenden dauerhaft beschädigt werden. Demgegenüber meinte jüngst der Historiker David van Reybrouck im "Wiener Zeitung"-Interview, man solle überhaupt Spitzenpolitiker nicht in ihre Ämter wählen, sondern auslosen, um die Krise der Demokratie zu beenden.

Dazu lohnt es sich, den einschlägigen Artikel des EU-Verfassungsvertrages, des seit 2009 in Kraft stehenden Vertrages von Lissabon, in Erinnerung zu rufen: "Die Arbeitsweise beruht auf der repräsentativen Demokratie." Und was für die europäische Ebene gilt, hat für praktisch alle westlichen Demokratien volle Gültigkeit. Hiezu kommt die vom früheren Botschafter Wolfgang Schallenberg gern zitierte Aussage des großen österreichischen Philosophen Karl Popper, der vom "Aberglauben" sprach, "dass das Volk oder die Majorität nicht Unrecht haben und nicht Unrecht tun kann". Diese Ideologie sei unmoralisch und daher abzulehnen.

Und zum immer wieder zitierten Beispiel unseres westlichen Nachbarlandes: "Die Schweiz ist ein historisch gewachsenes, einmaliges, nicht übertragbares Modell", meint der ehemalige Botschafter in Bern.

Eine Umfrage der Sozialwissenschaftlichen Studiengesellschaft zeigt, dass ein mindestens gleich großer Prozentsatz der Wähler sich für Entscheidungen durch Volksabstimmungen ausspricht wie für Entscheidungen durch gewählte Vertreter. Da sollte man zu bedenken geben: Für Entscheidungen durch gewählte Politiker gibt es Verantwortliche, die Parlamentarier müssen das von ihnen Beschlossene rechtfertigen und begründen können. Die Entscheidungsträger werden in der Regel von Experten unterstützt, die gefassten Beschlüsse basieren im Idealfall auf der sorgfältigen Arbeit von Ausschüssen. Hiezu kommt als wertvolle Ergänzung die Zustimmung von Interessenvertretungen - im Falle Österreichs der Sozialpartnerorganisationen und der Industriellenvereinigung. So sind die gewählten Vertreter besser und umfassender informiert, als es eine Teilnehmerin, ein Teilnehmer an einem Referendum sein kann.

Das Aufeinandertreffen verschiedener politischer und sachlicher Positionen kann einem gründlichen Entscheidungsfindungsprozess nur dienlich sein. Der am Ende stehenden Kompromiss sollte in letzter Konsequenz im Interesse der Allgemeinheit liegen. Gewiss wird es auch von den Abgeordneten im Parlament abhängen, wie konkret, sachkundig und kompetent sie sich mit einer zur Debatte stehenden Frage auseinandersetzen, und wie sie in der Folge die getroffene Entscheidung der Öffentlichkeit überzeugend erklären.

Die dringende Notwendigkeit guter Erklärungen für Beschlüsse trifft auch auf die europäische Ebene zu. Alle Angehörigen der Entscheidungsprozesse - EU-Kommission, Europäischer Rat, EU-Parlament, Europäischer Gerichtshof, Vertreter der Regierungen der EU-Mitgliedstaaten - können in dieser Hinsicht nicht genügend tun.