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"In Rann zu erkranken, kommt fast einem Todesurteil gleich"

Von Silas Adamou

Gastkommentare

Die Lebensbedingungen hier in Rann im Norden Nigerias sind schrecklich. Die Menschen leben auf der Straße in behelfsmäßigen Unterkünften und müssen mit weniger als fünf Litern Wasser pro Kopf und Tag auskommen. Das ist weit unterhalb der empfohlenen Menge. Den Menschen bleibt nichts anderes übrig, als Wasser aus schlammigen Pfützen zu nehmen. Viele unserer Patienten und Patientinnen leiden an Durchfall - das Wasser, das sie trinken, macht sie krank.

Die humanitäre Lage in Rann spitzt sich außerdem zu, weil der Zustrom von Vertriebenen nicht nachlässt. Besonders dringend werden medizinische Versorgung, Unterkünfte und Wasser gebraucht. Es gibt keine funktionierenden ständigen Gesundheitseinrichtungen in der Ortschaft, und etliche Patienten und Patientinnen können aufgrund mangelnder Kapazitäten nicht ins Spital eingewiesen werden, obwohl sie dringend behandelt werden müssten. Bei der derzeitigen Sicherheitslage ist es zudem unmöglich, weite Strecken zurückzulegen, um ins nächstgelegene Spital zu gelangen. In Rann zu erkranken, kommt fast einem Todesurteil gleich.

Unablässiger Zustromvon Neuankömmlingen

Und jeden Tag kommen neue Vertriebene dazu. Überall improvisieren sich die Menschen Nachtlager aus Stroh. Es gibt keinen weißen Fleck im Ort, sogar mitten auf der Straße werden Unterkünfte behelfsmäßig zusammengezimmert. Ich weiß nicht, was passieren wird, wenn noch mehr Menschen hierherkommen. Diese Menschen haben ihr Zuhause verloren. Sie haben nur grundlegende Dinge wie Kochtöpfe und -geräte bei sich, alles andere mussten sie zurücklassen.

Die Bevölkerung ist verängstigt. Erwachsene wie Kinder laufen panisch davon, wenn sie Hubschrauber sehen. Die Menschen haben Angst vor einem weiteren Luftangriff und vor Boko Haram. Sie sagen, sie fühlen sich wie Gefangene mitten im Kreuzfeuer.

Mütter erzählen, dass ihre Kinder in der Nacht aufwachen und grundlos weinen. Erwachsene beklagen Schlafstörungen, weil sie sich um ihre Sicherheit und ihre Zukunft sorgen.

Enormer Bedarf,beschränkter Zugang

Die Sicherheitslage und die Entfernung erschweren die Arbeit von humanitären Hilfsorganisationen vor Ort, denn sie haben nur beschränkt Zugang zu diesem Gebiet. Wir können nur dann medizinische Hilfe leisten, wenn der Zugang gesichert ist. Wir führen allgemeingesundheitliche Sprechstunden durch, vor allem für Frauen und Kinder.

Die Haupterkrankungen werden durch die schlechten Lebensbedingungen und durch den Wassermangel verursacht. Wir untersuchen Kinder auch auf Mangelernährung und impfen sie gegen Masern. Die Teams von Ärzte ohne Grenzen arbeiten daran, die Wasserversorgung zu verbessern - der Bedarf ist aber weit größer als die Hilfe, die wir zurzeit gewährleisten können.

In einigen Monaten beginnt die Regenzeit. Die Zufahrtsstraßen nach Rann werden aufgrund der Regenfälle ganz unterbrochen und die Ortschaft ist dann ganz von der Außenwelt abgeschnitten. Der humanitäre Bedarf ist bereits jetzt enorm, aber die Lage wird sich wohl noch zuspitzen, wenn der Regen einsetzt. Die Menschen sitzen dann praktisch in der Falle.

Zum Autor

Silas
Adamou

ist Projektkoordinator von Ärzte ohne Grenzen in Nigeria, wo ein Luftschlag in der nördlichen Ortschaft Rann am 17. Jänner mindestens 90 Todesopfer und hunderte Verletzte gefordert hat.