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Es ist nicht die Wahl zwischen Pest und Cholera

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien. Foto: Daniel Novotny

Es macht einen Unterschied, ob Macron oder Le Pen Frankreich regiert.


Wie sich das Politische gerade verändert. Der Satz "Es ist alles möglich" ist dabei, das Dogma TINA ("there is no alternative") abzulösen. Plötzlich ist es möglich, dass alles anders wird. Nur ist das weniger ein Versprechen als eine Drohung.

Es ist möglich, dass Marine Le Pen Präsidentin wird. Es ist möglich, dass die EU sich auflöst. Es ist aber auch möglich, dass der Populismus gestoppt wird. Denn Wahlen entscheiden eben doch etwas. Auch das ist wieder möglich geworden.

Wahlen sind zu einem Votum über den Populismus geworden. Und reihum kommen alle europäischen Länder dran. Diesen Sonntag nun also Frankreich. Hier hat der Populismus die nationale Wahl in ein Plebiszit über Europa verwandelt. Und im Unterschied zu Österreich und den Niederlanden hat die französische Präsidentenwahl eine wirklich existenzielle Bedeutung für Europa. Am Sonntag wird also auch über den Fortbestand der Europäischen Union entschieden.

Le Pen hat diese Wahl aber nicht nur in eine Konfrontation Frankreich gegen die EU verwandelt, sie hat dieser auch einen besonderen Drall gegeben. Sie hat sie zu einer Konfrontation Frankreich gegen Deutschland stilisiert: "Frankreich wird von einer Frau geführt werden, entweder von mir oder von Frau Merkel." Es ist dies nicht nur eine Desavouierung ihres Gegenspielers als eine deutsche Marionette, es ist auch der Versuch, alte anti-deutsche Affekte zu reanimieren. Wenn es etwas Anti-europäisches gibt, dann das. Das ist genau jene Geisteshaltung, die das europäische Projekt überwinden sollte.

In diese Kerbe schlägt auch ihr Wort, Macron plane einen "Blitzkrieg gegen Arbeiterrechte". Das verbindet alles: der deutsche Terminus "Blitzkrieg", der Kriegserinnerungen weckt und zugleich die Darstellung des Gegners als Feind der Arbeiter, als Feind "des Volkes".

Nun sagen die Umfragen zwar einen deutlichen Sieg Macrons voraus. Aber alles ist eben möglich. Auch dass Umfragen mal irren. Ebenso wie es möglich ist, dass gerade Linke diesen Sieg befördern - indem sie es sind, die eine geschlossene republikanische Front gegen Le Pen verhindern. Wie Jean-Luc Melenchon mit seiner "weder-noch" Haltung: Weder Le Pen noch Macron. Keine Stimme für die Faschistin, aber auch keine für den Vertreter des Finanzkapitals. Das ist nicht nur falsch verstandene politische Moral. Es ist auch falsch verstandene Arithmetik. Als ob die Wahlenthaltung nicht Le Pen nützen würde. Als ob es eine neutrale Position gäbe. Als ob er damit seine Hände in Unschuld waschen würde. Als ob er sich damit die Hände nicht schmutzig machen würde! Was für eine erbärmliche Kleinheit. Da haben all die ÖVPler, die schweren Herzens für Van der Bellen gestimmt haben, mehr demokratisches Rückgrat bewiesen!

Es ist nicht so, dass es keinen Unterschied macht, ob Macron oder Le Pen regiert. Es ist nicht die Wahl zwischen Pest und Cholera. Das sind keine symmetrischen Übel. Auch für Linke nicht. Es war ein junger Unterstützer seiner eigenen Bewegung, der Melenchon den Unterschied klar gemacht hat. Er schrieb in der "Libération": Macron sei der "Garant jener Institutionen durch die ich weiterhin gegen seine Politik kämpfen kann."