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Das VfGH-Urteil zur dritten Piste - ein Schuss übers Ziel hinaus

Von Marlies Meyer

Gastkommentare
Marlies Meyer ist Geschäftsführerin des Grün-Alternativen Vereins zur Unterstützung von Bürgerinitiativen und Verfassungs- und Umweltjuristin im Grünen Parlamentsklub. Foto: privat

Ignorieren die Verfassungsrichter die schädlichen Folgen des Klimawandels?


Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) lehnte im Februar eine dritte Piste für den Flughafen Wien aus Klimaschutzgründen ab. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hob diese Entscheidung schon vorige Woche auf. Die schriftliche Ausfertigung liegt nun vor, enthält aber in der Begründung nichts Neues.

Nach Ansicht des VfGH hat das BVwG die Rechtslage grob verkannt und willkürlich entschieden. Das ist eine kräftige Schelte. Allerdings: Hätte der VfGH keinen groben Verstoß gesehen, wäre er gar nicht zuständig gewesen, sondern der Verwaltungsgerichtshof (VwGH). Der VfGH hätte in diesem Fall die Causa an den VwGH zur Feinprüfung abtreten müssen. Damit hatten auch viele Rechtsexperten gerechnet.

Der VfGH hält es unter anderem für grob verfehlt, den Klimaschutz als öffentliches Interesse nach dem Luftfahrtgesetz anzuerkennen, weil das Wort Klimaschutz im relevanten Luftfahrtgesetz (LFG) nicht zu finden ist. Deshalb dürfe der Klimaschutz bei der Zulassung eines Flugplatzes, hier bei Erweiterung des Flughafens Wien, keine Rolle spielen. Aber laut LFG zählen etwa der "Schutz der Allgemeinheit" und die "Hintanhaltung von Gefährdungen von Leben, Gesundheit und Eigentum" zu den öffentlichen Interessen. Warum der VfGH diese Schutzgüter nicht als Ausgangspunkt für den Klimaschutz im LFG gewürdigt hat, gehört zu den großen Fragezeichen dieser Entscheidung.

Hat er den fünften Sachstandsbericht zum Klimawandel im Jahr 2014 beziehungsweise die zusammenfassende Klimawandel-Broschüre gelesen, die für 2050 aufgrund der lang andauernden Hitzewellen 6000 Todesfälle bei älteren Personen sowie chronisch Kranken prognostiziert? Hat er gelesen, dass der Temperaturanstieg in Wien, im Wiener Umland sowie im Nord- und Mittelburgenland österreichweit die stärksten Produktivitätsverluste auslösen wird (an Einzeltagen können die Leistungseinbußen bei Außenarbeiten bis zu 80 Prozent erreichen)? Hat er gelesen, dass der klimawandelbedingte Anstieg des Borkenkäferbefalls in der Waldwirtschaft in den kommen 25 Jahren zu jährlichen Schäden von rund 64 Millionen Euro führen wird, die bis 2050 auf jährlich 98 Millionen ansteigen werden? Sind das keine Schäden für die Allgemeinheit und für Einzelne?

CO2-Maßnahmen unzureichend

Dazu kommt, dass der VfGH die Judikatur des VwGH zum Luftfahrtgesetz links liegengelassen hat. Der VwGH hat etwa im Lichte des Staatsziels Umweltschutz den "Schutz des Erholungsraums", den "Schutz vor Luftverschmutzung" und vor "Forstschäden" als öffentliche Interessen angesehen und das Verbot des Helikopter-Skiing in Tirol bestätigt. Auch diese Begriffe kommen so wie der Klimaschutz im LFG nicht vor. Wohlgemerkt: Die Anerkennung des Klimaschutzes als öffentliches Interesse sagt noch nichts über das Ergebnis der Interessensabwägung Mobilitätsbedürfnis und Standortsicherung versus Klimaschutz aus.

Man wird den Verdacht nicht los, dass der VfGH, empört über die vom BVwG gezogenen Konsequenzen, den Klimaschutz gleich mit Butz und Stingel aus dem LFG schaffen wollte. Dabei hat er wohl übers Ziel hinausgeschossen und nicht zuletzt eine Gesetzesflut angestoßen. So sucht man den Klimaschutz auch im Wasserrechtsgesetz vergeblich, obwohl er bisher in ständiger Judikatur zur Rechtfertigung von Wasserkraftwerken herangezogen wurde. Das öffentliche Interesse an CO2-neutraler Energie überwiege das öffentliche Interesse am Erhalt natürlicher Flüsse, hieß es bisher.

Der VfGH hat sicher die Gemüter der Flughafen-Eigner und der Politiker, die sich nach der Ablehnung der dritten Piste gegenseitig in wütenden Protestrufen überboten hatten, so umgehend beruhigt. Der Preis dafür ist aber hoch. Die Entscheidungsbegründung folgt nahezu 1:1 dem (naturgemäß) advokatorisch gehaltenen Vorbringen der Flughafen Wien AG. Die Entscheidung des BVwG hätte sich jedoch eine tiefergehende Prüfung verdient gehabt.

Die Folgen des Klimawandels sind sehr ernst und die bisher angedachten Maßnahmen gegen die CO2-Emissionen des Flugverkehrs so unzureichend, dass sie zu Recht in der Genehmigung der Infrastruktur, hier der dritten Piste, beachtet wurden. Zu welchem Ergebnis auch immer der VwGH gekommen wäre, eine Feinprüfung hätte jedenfalls breitere Akzeptanz gefunden als das - noch dazu nicht sehr überzeugende - Willkür-Verdikt des VfGH.