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Kurz tastete das Nahost-Kernproblem nicht an

Von Clemens M. Hutter

Gastkommentare
Clemens M. Hutter war Auslandschef der "Salzburger Nachrichten".

Die UNO sprach den Palästina-Flüchtlingen das unerfüllbare Recht auf Heimkehr nach Israel zu.


Israels Premier Benjamin Netanjahu nannte Kanzler Sebastian Kurz einen "wahren Freund Israels und des israelischen Volkes". Kurz äußerte "Empathie und Verständnis" für Israels Lage zwischen arabischen Nachbarn und die Hoffnung auf Frieden mit den Palästinensern. Österreich wolle "ein starker und verlässlicher Partner Israels bleiben", dessen Sicherheit für Österreich nicht verhandelbar sei. Kurz erinnerte an die maßgebliche Beteiligung von Österreichern am Holocaust und verurteilte den wachsenden Antisemitismus in Europa. Es sei Österreichs moralische Verpflichtung, "Israel zu unterstützen, wann immer es gefährdet ist".

Das heikelste Thema im Nahost-Konflikt erwähnte Kurz allerdings nicht. Kluge Diplomatie schweigt eben, weil vorerst Unlösbares das Besuchsklima massiv gestört hätte: das Schicksal der arabischen Palästina-Flüchtlinge und die Siedlungspolitik Israels vor allem im Westjordanland.

Im Ersten Weltkrieg versprachen England und Frankreich den Arabern einen unabhängigen Staat im Gegenzug für den Kampf gegen die osmanische Herrschaft. Zugleich stellten sie den Juden "eine Heimstätte in Palästina" in Aussicht, wenn diese den Krieg gegen die Osmanen unterstützten. In einem Geheimabkommen vereinbarten sie allerdings, den Nahen Osten unter sich aufzuteilen, um die Ölquellen und den Suez-Kanal zu kontrollieren. Araber und Juden fanden sich nach dem Sieg über die Osmanen in einem Palästina, das Briten und Franzosen als Mandat des Völkerbundes verwalteten. Sie ernteten dafür Konflikte mit Arabern und Juden sowie zwischen den beiden.

Dieses Problem wollte die UNO 1947 mit dem Palästina-Teilungsplan - je ein Staat für Araber und Juden - lösen. Als dann Israel 1948 seine Unabhängigkeit erklärte, griffen die Araber zu den Waffen und verloren. Damals flohen 600.000 Araber aus dem Kampfgebiet, teils von Israelis vertrieben, teils von ihren Anführern aufgefordert, in Sicherheit auf die Rückkehr in ihr befreites Land zu warten. Mittlerweile ist die Zahl der registrierten Flüchtlinge in vierter Generation auf fünf Millionen angewachsen (gut ein Drittel davon in 59 UN-Lagern).

Am 11. Dezember 1948 verabschiedete die UNO die seither immer wieder bekräftigte Resolution 194, die den geflüchteten Palästinensern das Recht auf Heimkehr und Entschädigung für den Verlust von Eigentum zuspricht. Wie Israel diese gigantische Last schultern soll, weiß niemand. Diese Flüchtlinge - ob nun in Lagern oder nicht integriert am Rand ihrer arabischen "Gastländer" - fristen ein erbärmliches Dasein und bilden die Reservearmee des arabischen Terrors gegen Israel.

Israel gewann vier Kriege gegen arabische Staaten, von denen nur Ägypten zu einem Friedensvertrag bereit war, weil es vom Flüchtlingsproblem kaum berührt ist. Die nächste Generation der Flüchtlinge wächst in einem vergifteten politischen Klima auf. Und was soll mit jenen 400.000 Israelis geschehen, die unter dem Schutz der Armee im Westjordanland 130 Siedlungen errichtet haben? Verständlich, dass Israel die Kontrolle über dieses Gebiet weiter absichern will.

Kurz handelte diplomatisch: Er tastete diese Büchse der Pandora nicht an.