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Die Kapitulation des Papiertaschentuchs

Von Eva Stanzl

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Es ist klein, fein und weich, passt in jede Hand-, Mantel- oder Hosentasche und existiert in allen Farben und Mustern: Das Papiertaschentuch ist eine wunderbare Sache. Dennoch hat offenbar kaum jemand eines mit dabei. Schnupf und Schnief macht es daher zur Winterzeit mit der Regelmäßigkeit einer Dampfmaschine aus allen Richtungen in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Ob aus schlechter Angewohnheit oder krankheitsbedingt: Tuchlos alleingelassene rinnende Nasen, die ihren Inhalt in Richtung Stirnhöhle ziehen, tönen gnadenlos wie ein Tinnitus und entladen sich nur durch Explosion. Auf einmal bäumt sich der Nieser auf, schüttelt den Körper, zischt heraus, und die Keime tanzen vor Lust.

Nun sind geübte Öffi-Fahrer Körperkontakt gewohnt. Wer die U-Bahn benutzt, rechnet nicht damit, den Wagen für sich alleine zu haben. Umso angebrachter wäre mehr Anstand. Dieser Meinung waren auch die Wortführer des Verbots intensiv duftender oder schmutzender Speisen auf der U6. Döner-Geruch auf engem Raum und Senf auf der Sitzbank seien nicht jedermanns Sache, argumentierte man. Doch nun tritt am 15. Jänner ein allgemeines Essensverbots in den Wiener Linien in Kraft. Auch der Biss in ein Weckerl oder in einen Apfel ist nicht mehr erlaubt. Da Äpfel und Birnen und sogar Weckerln durchaus manierlich verzehrt werden können, drängt sich der Verdacht auf, dass die Stadt Wien Reinigungskräfte sparen will. Also essen wir nichts. Dafür Schnief und Schnupf. Damit man den Sittenverfall zwar nicht mehr riecht, aber hört.