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Voyeuristen-TV mit Heiligenschein

Von Christoph Irrgeher

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Es ist nun schon eine Weile her, dass die "True Crime"-Dokus ein Revival gefeiert haben: billige TV-Reihen mit nachgestellten Verbrechen, hierzulande auf hinteren Kabelkanal-Plätzen verramscht. Zugegeben: Wer in diesen Sog von Spannung und Voyeurismus gerät, schaltet so rasch nicht um, wird jedoch unweigerlich von einem schlechten Gewissen befallen.

Mittlerweile sind solche Schlüssellochblicke aber auch ohne Schmuddelgefühl möglich, nämlich dank eines neuen Erfolgsformats: der Dokumentation über gefallene Weltstars. Michael Jackson, Harvey Weinstein, R. Kelly: Die vermuteten oder bewiesenen Sexverbrechen der Ex-Ikonen, detailliert im Rampenlicht ausgebreitet, lassen ein Millionenpublikum erschaudern. Wobei der Schmuddelfaktor geschickt verdeckt wird. Voyeurismus? Iwo! Uns geht’s doch um Gerechtigkeit!

Nun ist nicht auszuschließen, dass solche TV-Erfolge wirklich dazu beitragen, die Mühlen der (echten) Justiz in Gang zu bringen und ein Strahlemann-Image zu korrigieren, das sich Stars mit Millionenzahlungen an ihre Opfer erkauft haben. Zugleich ist kaum abzustreiten, dass die MeToo-Bewegung in Form dieses Genres ihren kapitalistischen Verwertungszweig erhalten hat und da eines stark mitschwingt: Heuchelei. Ein Wort, das heuer auch Britney Spears verwendete, und sie muss es wissen: Der Vormundschaftsstreit um die Sängerin bildet nun schon zum zweiten Mal Anlass für eine Doku, jetzt mit den Pathosworten im Trailer: "Keine Geheimnisse mehr. Kein Schweigen."

"Wiener Zeitung"-Klassikexperte Christoph Irrgeher.