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Rahimi boxt für die Freiheit der afghanischen Frauen

Von Alexander U. Mathé

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Eine Kampfsportlerin könnte die erst dritte Frau sein, die für Afghanistan an den Olympischen Spielen teilnimmt.


Dabei sein ist alles. Für wenige ist der olympische Gedanke buchstäblich so wahr wie für Sadaf Rahimi. Als Frau aus Afghanistan Sport zu betreiben und dann auch noch zu den Olympischen Spielen zu fahren, ist an sich schon ungewöhnlich genug. Doch richtig unglaublich wird es, wenn man auf die Sportart kommt, die die 18-Jährige ausübt. Sie ist nämlich Boxerin und das in einem Land, in dem Taliban Frauen unterdrücken, vorzugsweise in sackartige Gewänder hüllen und zu Hause einsperren. Allein mit ihrem Antreten setzt Sadaf ein Zeichen, das Sieg oder Niederlage fast zur Nebensächlichkeit werden lässt.

Das Internationale Olympische Komitee hat sie mit einer Wildcard bedacht, die ihr die Teilnahme an den Wettbewerben in London ermöglicht. Trotzdem gibt es genug, das Sadafs großem Traum entgegensteht.

Da wären zuvorderst die konservativen Kräfte in Afghanistan. Essenzielle Zugeständnisse muss die 18-Jährige ohnedies machen; dazu gehören etwa das Kopftuch und die Strümpfe, in denen sie ihren internationalen, barhäupt- und -knieigen Kontrahentinnen gegenüber steht. Ohne die wäre an einen öffentlichen Auftritt ohnedies nicht zu denken. Doch auch so hat ihr liberaler Vater bereits Drohungen erhalten, weil er seiner Tochter erlaubt, zu boxen. "Mein Cousin sagt, dass ich die Familie entehre", sagt Sadaf.

Ihr Trainingsort könnte besser sein. Sie schwingt im Ghazi-Stadion in Kabul die Fäuste. Dort wurden früher unter anderem Frauen gesteinigt, denen die Taliban vorwarfen Ehebruch begangen zu haben. Die Ausstattung ist spärlich, die Trainingszeiten ebenso. Sadaf ist dennoch zuversichtlich. Mit jedem Training, mit jedem Kampf, kämpft sie für die Überholung ungerechter Rollenbilder in Afghanistan. Sie zeigt, dass auch Frauen kämpfen und sich wehren können.

Sadaf Rahimi.
© © Lalage Snow/Corbis

Das afghanische Olympische Komitee hat Bedenken sie nach London zu schicken, wo sie die erst dritte Vertreterin ihres Landes bei den Olympischen Spielen wäre. Das Komitee bezweifelt, dass sie die Bewerbe heil überstehen würde. Ganz aus der Luft gegriffen sind die Überlegungen nicht. Bei einem präolympischen Turnier in China knockte sie ihre Gegnerin innerhalb von 86 Sekunden aus. Doch niedergestreckt werden und wieder aufstehen, das ist nun einmal Teil der Boxphilosophie.

Ebenso wie die Gewissheit, dass nach dem Kampf vor dem Kampf ist. So kann sich Sadaf jetzt schon darauf einstellen, bei der Rückkehr in ihre Heimat die Schatten der Taliban wieder vorzufinden. Ihr Trainer macht sich Sorgen um die Sicherheit des Mädchens. Doch davon lässt sich eine Kämpfernatur nicht stoppen.