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Das Spiel mit der Wahrscheinlichkeit

Von Simon Rosner

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Kroatien und Spanien legten ihre Strategie so an, dass die Chancen auf ein gutes Resultat stiegen. Die Kroaten machten es besser und verloren trotzdem.


Ein einziges Tor hat den Kroaten zum Aufstieg gefehlt. Und sie hatten auch eine Chance für dieses eine Tor, als Ivan Rakitic nach einem Konter völlig freistehend zum Kopfball kam. Der geradezu fassungslose Blick des verhinderten Torschützen verriet, dass die Kroaten von Beginn an auf diese eine Chance gehofft hatten, dann kam sie tatsächlich, doch sie wurde nicht genützt. Am Ende setzte sich wie erwartet Spanien durch, den Kroaten blieb nur das Lob. Dabei haben beide Teams viel richtig gemacht. Zumindest wenn man den Fußball als Spiel der Wahrscheinlichkeiten versteht. Die Qualität zweier Mannschaften bildet gewissermaßen die Ausgangslage, und als Nonplusultra ist Spanien gegen Kroatien deshalb immer der wahrscheinliche Sieger. Faktoren wie momentane Fitness, Verletzungen und aktuelle Form verschieben die Wahrscheinlichkeit, und diesen Einflüssen sind die Teams auch ausgeliefert. Aber durch die richtige Strategie lässt sich die Wahrscheinlichkeit auf ein gutes Resultat sehr wohl zu den eigenen Gunsten verändern, auch wenn eine Taktik nie so gut sein wird, dass aus einem klaren Außenseiter auf einmal ein Favorit wird. Das Spiel Spaniens gegen Kroatien war ein Anschauungsbeispiel, wie Trainer mit Wahrscheinlichkeiten operieren, bewusst oder unbewusst.

Spanien reichte gegen Kroatien ein Remis, deshalb wählte Teamchef Vicente Del Bosque einen eher vorsichtigen Ansatz. Im Fall von Spanien heißt das: noch mehr Ballbesitz. Um den Kroaten keine Konter zu ermöglichen, haben die Spanier weniger Risiko in der Offensive genommen. Sie haben gewusst: Wenn sie genauso spielen, werden die Kroaten maximal ein, zwei Chancen haben. Es ist daher unwahrscheinlich, dass Kroatien ein Tor, geschweige denn zwei Tore schießen wird.

Da die Kroaten zuvor Abwehrschwächen offenbart haben, generell eher offensiv spielen und gegen Spanien auf jeden Fall treffen mussten, wenn Italien gewinnt, dürfte Del Bosque damit gerechnet haben, dass sein Team trotz geringerem Risiko zu Chancen kommen wird. Vielleicht zu weniger als erwartet, doch wenn Spanien fünf, sechs Möglichkeiten hat, ist die Wahrscheinlichkeit für ein Tor groß. Und ein Treffer würde reichen. Zumindest wäre das Weiterkommen dann schon sehr, sehr wahrscheinlich.

Doch auch Slaven Bilic hat mit der Wahrscheinlichkeit operiert. Und er hat anders spielen lassen als bisher. Er verstärkte das Mittelfeld und machte den Raum vor dem Strafraum so dicht, dass selbst Andrés Iniesta nichts mehr einfiel. Die Idee ist einleuchtend: Wenn es gelingt, den Spaniern keinen Raum zu geben, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, kein Tor zu bekommen. Allerdings um den Preis, die gegnerische Hälfte nicht mehr zu betreten. Aber irgendwann würde man attackieren, sagte sich Bilic. Und dann würde sich auch eine Chance ergeben, diese eine Chance. Und so kam es auch. Vermutlich wäre die Wahrscheinlichkeit auf ein gutes Resultat für Kroaten bei keinem anderen Spielverlauf größer gewesen. Und bei der Flanke von Modric auf Rakitic schien die Wahrscheinlichkeit auf einmal riesengroß, so allein stand Rakitic. Die Wahrscheinlichkeit, aus dieser Position zu treffen, beträgt circa 80 Prozent. Was Rakitic sofort einfiel: Die Wahrscheinlichkeit, noch einmal zu so einer Chance zu kommen: Vielleicht ein Prozent.